Sehen und gesehen werden

Ingo Knechtel

Dabei sein wollte der Kulturring, als sich Ende Mai viele Tausend Teilnehmer auf dem 36. Evangelischen Kirchentag in Berlin trafen. Eigentlich war es ja im Jahr des Reformationsjubiläums ein Kirchentag auf dem Weg, der Veranstaltungen und Aktionen in acht Städten mit sich brachte und mit den Tagen vom 25. bis 28. Mai in Berlin und mit einem Festgottesdienst auf den Elbwiesen in Wittenberg seinen Höhepunkt fand. Seit dem Jahr 1997, in dem der Kirchentag in Leipzig veranstaltet wurde, ist der Kulturring dabei, mittlerweile also zum 12. Mal. Warum das so ist, wurden wir schon häufig gefragt, schließlich ist der Kulturring ein sehr weltlicher Verein. Die Antwort liegt auf der Hand. Er will dabei sein bei einem solch bedeutsamen Treffen, weil hier eine Schnittstelle gefunden wurde, um sich einzubringen, um Erfahrungen zu sammeln und auszutauschen, um den Dialog mit Teilnehmern und Besuchern zu führen. Mit seinem Markt der Möglichkeiten bietet der Evangelische Kirchentag dafür einen sehr guten Rahmen. Auch in diesem Jahr erlebten auf diese Weise viele Hundert Besucher den Stand unseres Verein auf dem Berliner Messegelände: im Vorbeischlendern, aber auch beim genauen Hinschauen, beim Nachfragen, Diskutieren und beim Mitmachen. Unter dem Motto „Wir sehen Kultur - wir leben Kultur“ knüpfte der Kulturring an den Leitgedanken des Kirchentags an: „Du siehst mich“. Als sozial engagierter Kulturverein bietet er für viele eine Heimstatt, die in der Gemeinschaft ihre Ideen und Projekte verwirklichen wollen. Eine veränderte Blickrichtung, weg vom Alleine-mit-sich-selbst-Sein, hin zum Wir, zum gemeinsamen Handeln, ja auch zur gemeinsamen Verantwortung, das ist die Zielstellung, die den Kulturring mit vielen anderen Vereinen und Initiativen verbindet, die auf dem Kirchentag vertreten waren. Geredet wurde dann oft über ganz konkrete Projekte, von der kreativen Kinderarbeit im Rahmen des Programms „Künste öffnen Welten“, über die Gruppenausstellung „Jugend fotografiert“ in der Fotogalerie Friedrichshain bis zum Ausstellungsvorhaben „Rosa Winkel“ zur Verfolgung von Schwulen und Lesben in der NS-Zeit. Info-Tafeln und kleine Exponate sowie viele Broschüren illustrierten am Stand die Vielfalt der Kulturring-Arbeit. Aber es ging bei all dem auch ums Mitmachen. So konnten die Besucher selbst kreativ werden.Sie konnten sich ein Andenken an die Stunden auf dem Kirchentag, an den Besuch auf dem Kulturring-Stand mit ihren eigenen Händen künstlerisch gestalten. Höhepunkt für viele war die Anfertigung einer kleinen Druckgrafik auf der eigens dafür an den Stand mitgebrachten Druckerpresse. Maja Feustel vom Grafik-Collegium Berlin war stets dicht umlagert und begleitete die Besucher dabei kenntnisreich. Nouria Khadeeva gab den meist jungen Leuten Anregungen für kleine Bastelarbeiten, und mit Tatjana Kan konnten unsere Gäste die Kunst des Origami-Faltens praktizieren. Felix Hawran lud bei einem extra-Termin auf der zentralen Bühne der Messehalle die Besucher dazu ein, sich an einer Foto-Mitmach-Aktion zum Thema „Ich sehe Dich“ zu beteiligen. Dabei wurde ein Blick in die Augen des Gegenüber auf eine Leinwand gebeamt, um zu zeigen, was ein „Augen-Blick“ alles sagen kann. Und auch der Wunschbaum am Kulturring-Stand war wieder dabei und regte zum Nachdenken an. Zu lesen war da u.a.: „Mehr Selbstvertrauen für alle Kinder dieser Welt!“, „Dass Obdachlose ein Zuhause bekommen“, „Nehmt den Klimawandel ernst! Es geht um unsere Zukunft“, „Dass Menschen immer wieder Neues entdecken!“ Und da brauchten wir alle nicht das ganz große Kirchentags-Podium Obama-Merkel am Brandenburger Tor, da reichten die 4x4 Meter des Stands in der Messehalle, um zu spüren: Uns verbindet etwas Gemeinsames, und dass ist das Bewusstsein um die Verantwortung für unser Zusammenleben, für unsere Zukunft. Uns gegenseitig zu sehen, heißt auch uns zu achten, zueinander zu finden und zu handeln, füreinander.

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