Schnipselkonflikt

Peter Küsters

Fundstücke aus Buchspenden im MedienPoint Steglitz

Auf der Suche nach Lesezeichen für unsere letzte Ausstellung fielen mir im Laufe der Zeit Unmengen anderer Dinge in die Hand, die von Lesern in den Büchern zum gleichen Zweck verwendet und vergessen wurden. Sie landeten unbeachtet im Papierkorb oder Mülleimer, bis auf ein Paar gepresste Blumen und Blätter, exotische Eintrittskarten und Briefe, die mir dafür zu schade erschienen. Mit dem Hintergedanken, solche Fundstücke vielleicht einmal mit einem kleinen Artikel zu würdigen, begann ich vor einem halben Jahr, alles beiseite zu legen, was unsere Buchspenden so hergaben. Vom Bonbon- und Zigarettenpapierchen über Visiten- und Kontokarten, Fotos, Postkarten, Gutscheinen, Rezepten, Adressbuchseiten, Einkaufslisten bis zum abgerissenen Schnürsenkel – all dies versammelte sich auf meinem Arbeitsplatz.

Als der Wunsch an mich herangetragen wurde, auch diese Fundstücke öffentlich zur Schau zu stellen, befiel mich ein unerklärlicher innerer Widerstand. „Viele Zettel sind zu klein für eine Ausstellung“ und „durch das Schaufenster kann man die Briefe ja gar nicht entziffern“, versuchte ich mich herauszureden und wurde mit dem Argument geschlagen, dass man die „Fundsachen“ auch scannen und vergrößern könne. Erst nach und nach wurde mir die Ursache meines Widerwillens klar. Meine Lieblingsfundstücke haben alle privaten bis intimen Charakter. Der Liebesbrief eines Wehrdienstleistenden, das Briefkonzept einer enttäuschten Geliebten, das Gruppenfoto aus der Suchtklinik oder der schriftliche Tadel für einen Schüler, weil er versuchte, vom dritten Stock aus einer Lehrkraft auf den Kopf zu spucken... Kann und darf man solche Dokumente öffentlich ausstellen? Diejenigen, die uns als Medienpoint mit ihren Buchspenden unterstützen, haben es sicher nicht verdient, öffentlich bloßgestellt zu werden. Die Sammelfreude, mit der ich in aller Naivität begonnen hatte, wurde von der Gefahr der Denunziation immer mehr getrübt. Vielleicht nur ganz alte, sozusagen historische Notizen ausstellen, oder alle Eigennamen überkleben, Privatfotos lieber ganz weglassen? Noch habe ich keine endgültige Antwort gefunden – muss ich ja aber auch nicht! Ich schreibe diese Zeilen zur Ankündigung einer Ausstellung ab Anfang Juni, und bis dahin werde ich in Zusammenarbeit mit meinen Kollegen und unter Berücksichtigung der geäußerten Skrupel sicher eine sinnvolle Auswahl der Fundstücke präsentieren können.

Mengenmäßig den größten Anteil nehmen übrigens die offiziellen Buchbeilagen der jeweiligen Verlage ein. „Hat Ihnen unser Buch gefallen...“; „Wir möchten mit Ihnen in enger Verbindung bleiben...“; „Wir möchten Sie gern über unsere Verlagsarbeit unterrichten...“, so beginnen die Rücksende- Karten, die von den meisten Lesern dann wohl doch nicht zurückgesandt, sondern lieber als Lesezeichen verwendet oder einfach nicht herausgenommen wurden. Allein mit diesen Karten und den Miniaturprospektbeilagen ließen sich problemlos unsere Schaufenster gestalten.

Ich bin mir aber sicher, dass noch viele weitere Schätze den Weg ans Tageslicht finden werden. Der Leser darf gespannt sein, welches Bild, welcher Brief, welcher Schnipsel die Diskussion im MedienPoint überlebt. Die kleine Ausstellung in der Schaufenstergalerie wird vom 1. bis 30.6.17 zu sehen sein.

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