Gehen und Bleiben

Maxi Obexer

Ein Theaterstück über Flucht und Heimat, basierend auf Erfahrungen der Mitwirkenden

Unsere Welt ist in Bewegung. Immer mehr Menschen verlassen ihre vertraute Umgebung, ihren angestammten Kulturkreis und suchen ein neues Zuhause in der Fremde – weil sie zur Flucht gezwungen sind oder aus anderen Gründen auswandern wollen. Das Hans Otto Theater in Potsdam hat in den letzten anderthalb Jahren dank der großen Unterstützung des Ensembles erste Formen einer künstlerischen Zusammenarbeit mit geflüchteten Menschen entwickeln können. Daraus entstand die Idee, ein ganzes Theaterstück mit geflüchteten Künstlern aus Syrien und aus dem Iran zu produzieren – eine Idee, die vom Kulturring in Berlin e.V. dankenswerter Weise unterstützt wurde und sodann in die Tat umgesetzt werden konnte.

Der Autorin Maxi Obexer und dem Regisseur Clemens Bechtel war im Blick auf das Projekt besonders daran gelegen, eine thematische Fokussierung jenseits der oft üblichen Fluchtberichterstattung, jenseits der bekannten Klischees und Statistiken vorzunehmen. Dezidiert ging es darum, die Flüchtlinge nicht als Schauobjekte auszustellen – also beispielsweise mittels spektakulärer Fluchtgeschichten. Unser Interesse galt vielmehr den persönlichen, mitunter ganz kleinen, alltäglichen Erfahrungen der Geflüchteten. Wir wollten vor allem solche Aspekte des Themas Flucht und Migration in den Vordergrund rücken, die eine Brücke bilden können zwischen Zuschauern und mitwirkenden Akteuren.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben wir uns entschlossen, weitere Beteiligte, auch aus anderen Herkunftsländern, für das Projekt zu gewinnen. Wir sind nun sehr froh darüber, neben den Geflüchteten aus Syrien und dem Iran auch Menschen aus Russland, Israel, Mazedonien und Frankreich zum Team von »Gehen und Bleiben« zählen zu können. Unser Ensemble besteht inzwischen aus Muslimen, Drusen, Christen, einer Jüdin, Männern und Frauen, Jüngeren und Älteren. Erfreulicherweise hat diese Konstellation zu keinerlei Konflikten auf den Proben geführt. Im Gegenteil: Es ist eine Gruppe von Menschen entstanden, die zusammenwächst, in der sich Freundschaften bilden, die viel diskutiert und sich gern austauscht. Unsere gemeinsame Basis ist: Wir machen zusammen Theater.Am Anfang des Projekts stand eine Phase der Recherche: Die Beteiligten haben in Gesprächen von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet, die als Grundlage für die Textfassung dienten. Aus den Gesprächen sind neue Fragen hervorgegangen, die den Blick auf das Thema verändert und geschärft haben. In den Proben wurde häufig über die politische wie landeskundliche Situation in den jeweiligen Heimatländern sowie über die Situation der in der Heimat verbliebenen Freunde und Verwandten gesprochen. Dabei wurde zunehmend in deutscher Sprache diskutiert. Auch die zum Teil englischen Texte wurden mitunter aufgrund der enormen Fortschritte aller Beteiligten und auf ihren Wunsch hin ins Deutsche übertragen.

Das aus dem dokumentarischen Material entstandene Stück interessiert sich nun insbesondere für die Beziehungen, die Verbindungslinien zwischen denen, die sich auf den Weg gemacht haben, und denen, die zurückgeblieben sind in der Heimat. Wir fragen: Wie verändert das Leben in einer ganz neuen Welt den Blick auf das alte Ich, die alten Freunde, die liebsten Menschen, die Familie? Auf alles, was einem kostbar war: Tiere, Pflanzen, Dinge, Orte? Welche Träume, Traumata und Sehnsüchte tragen die Auswanderer mit sich? Welche Brüche, Kontinuitäten, Verletzungen und Schwierigkeiten gibt es zwischen denen, die gegangen, und denen, die geblieben sind? Wie verläuft die Kommunikation?

Dadurch, dass die Autorin die dokumentarische Grundlage der gemeinsamen Arbeit mit fiktionalen Elementen angereichert und in Theaterszenen übersetzt hat, konnten die Beteiligten mit der Wirklichkeit nun auf künstlerische, spielerische Weise umgehen. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass die Akteure nicht nur ihre eigenen Geschichten erzählen, sondern in Form von Rollen auch die Geschichten der anderen spielen. So entsteht eine ganz andere Freiheit im Umgang mit den persönlichen Erfahrungen.

Nachdem die Textfassung weitestgehend fertig gestellt war, erfolgte für die Beteiligten eine lange Zeit regulärer Theaterproben. Dabei wurde die szenische Arbeit mit dem Regisseur Clemens Bechtel unterstützt von der Theaterpädagogin Susanne Hoss. Improvisations- und Sensibilisierungsübungen, chorisches Sprechen, Sprach- und Körperübungen sowie umfängliche musikalische Proben gehörten zum Arbeitsalltag der Bundesfreiwilligen. Neben der unmittelbaren Probenarbeit gab es für die Akteure im Rahmen des Projekts noch zahlreiche weitere Aktivitäten im Bereich Theater: So besuchten sie gemeinsam Theatervorstellungen am Hans Otto Theater und auch in der Schaubühne Berlin. Außerdem beteiligten sie sich regelmäßig am Refugees’ Club des Hans Otto Theaters, bei dem die Bundesfreiwilligen auch auf vielfältige Weise mitwirkten, Lieder, Musikstücke, Gedichte und kleine Szenen präsentierten und die Moderation ins Arabische übersetzten. Dies stärkte zusätzlich den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Inzwischen befinden wir uns in den Endproben für die Produktion »Gehen und Bleiben«. Am 17. März 2017 feiern wir die Premiere. Darüber hinaus wird es sieben weitere Vorstellungen geben. Wir hoffen und denken, dass diese Erfahrung für alle Beteiligten auch über die Produktionszeit hinaus wertvoll ist und dass sie von den dazugewonnenen Erfahrungen und Kenntnissen in vielerlei Hinsicht profitieren werden.

Premiere: 17. März 2017

Vorstellungen: 18., 23. März

02., 08., 11., 12., 13. April

Regie: Clemens Bechtel, Bühne + Kostüme: Iris Kraft, Besetzung: Mariana Karkoutly, Sharon Kotkovsky, Tatjana Nacarenus, Angélique Préau; Nikola Antoun, Kais Althyab, Alaa Al Haidar, Amin Al Jarmakani, Emad Arasteh, Kamal Bader, Jalal Mando, Sheval Minahi

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