Köpenicker 100 – Jahresrückblick & Ausblick

Sebastian Wagner

Seit dem Jahr 2011 befindet sich eine kleine Werkstatt in der Köpenicker Str. 100 in Mitte. Geführt wird sie von einer Gruppe verschiedener Künstler, in wechselnder Zusammensetzung, zu der auch der Autor gehört. Über die Werkstatt hinaus betreiben sie ein Gemeinschaftsbüro, das von Illustratoren, Grafikern, Architekten, Bühnenbildnerinnen und anderen Kulturschaffenden genutzt wird. Diese Kombination ist toll, da sie verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt und sich gerade daraus immer wieder spannende Projekte ergeben.

Die Werkstatt selbst ist gut ausgestattet und richtet sich an Nutzer mit Erfahrung im Bereich Siebdruck. Über die Jahre hat sie sich zu einem kleinen Fixpunkt in der Berliner Werkstattlandschaft für Druckgrafik entwickelt. Genau wie die Stadt wird die Werkstatt immer internationaler. Die Nutzer kommen von überall her und bleiben einige Monate, manchmal auch ein paar Jahre, bis sie weiterziehen in andere Orte oder zurück in ihre Heimat gehen. Dabei liegt der Fokus der Werkstatt auf der Herstellung, nicht auf der Präsentation. Es gibt keine Galerieräume, und Ausstellungen finden nur einige Mal im Jahr statt. Deshalb steht die sichtbare Außenwirkung nicht im Mittelpunkt. Doch gelegentlich tritt die Gruppe auch mit Ausstellungen in Erscheinung, so zuletzt mit einer Gemeinschaftsaustellung zur langen Nacht der Illustration am 30.9. des vorigen Jahres.

Über die individuelle Arbeit hinaus wird die Werkstatt für Projekte genutzt. So konnte sie im letzten Jahr neben einigen Workshops für Schulen und Studierende im Bereich Kunst und Illustration auch für eine Druckserie der Illustratorin Doro Petersen genutzt werden. Die Arbeiten selbst wurden vom 19.8. bis 22.9.2016 im Studio Bildende Kunst in der Lichtenberger John-Sieg-Straße gezeigt.

Wie bei vielen Anderen waren auch in der Arbeit der Gruppe im letzten Jahr die Auswirkungen der gegenwärtigen Erschütterungen unserer Welt zu spüren. Es weilte eine Künstlergruppe türkischer Aktivistinnen zu Besuch, die - begleitend zur ihrer Performance - Drucke in der Werkstatt hergestellt haben, während in der Türkei der Putschversuch lief und sich einige überlegen mussten, ob sie überhaupt in die Türkei zurück wollten. Positiv konnte die Werkstatt von einer geflohenen jungen bildenden Künstlerin aus Syrien genutzt werden. Um ihr Studium an der Kunsthochschule Weißensee fortsetzen zu können, musste sie eine Aufnahmeprüfung absolvieren. Obwohl sie mit Druckgrafik bisher wenig gearbeitet hatte, fand sie sich schnell in die gebotenen Möglichkeiten ein und stellte einige Arbeiten her. Sie bestand die Aufnahmeprüfung und studiert nun weiter bildende Kunst.Neben diesen Ereignissen gab es aber auch eine sehr verhängnisvolle Nachricht. Die beliebte Lage in der Stadtmitte und die damit steigenden Mieten und Gewinnvorstellungen der Eigentümer wurden auch für die Werkstatt ein Problem, auch über sie brach die Gentrifizierung herein. Leider wurden ihr die Räume von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WBM gekündigt, da die Werkstatt aus Sicht der WBM besser anderweitig genutzt werden sollte. Das Büro wurde dann wieder angeboten, allerdings zu finanziell untragbaren Konditionen. Nach Gesprächen mit der WBM und tatkräftiger Unterstützung aus der Politik konnte die Kündigung der Werkstatt zurückgenommen werden. Es wurde ein Preis angeboten, der zwar deutlich höher ist als gehofft, der aber letzten Endes eine Weiterarbeit ermöglicht. Auch schon alleine deswegen, weil, neue Räume in vergleichbarer Lage zu finden, nahezu unmöglich geworden ist. Nicht an kommerziellen Gewinnmargen ausgerichtete Projekte haben derzeit praktisch keine Chance mehr, in Mitte zu überleben. Auch für das Büro wurde in letzter Minute eine Lösung gefunden. Ein Ausweichen auf das Nebengebäude wurde möglich, um dort auf weniger Quadratmeter weitermachen zu können. Zähneknirschend mussten die deutlichen Kostensteigerungen hingenommen werden.

Diese Entwicklung ist nicht nur für die Künstler schade, sondern auch für die Entwicklung der Innenstadt. Sie wird den einstigen Magneten für Kunst- und Kulturschaffende verlieren und damit einen gewichtigen Teil ihrer Lebensqualität. Für die Werkstatt des Kulturrings ist es gerade nochmal gut ausgegangen. Alle Beteiligten sind froh, dass sich die WBM entschlossen hat, zum Erhalt des Projekts beizutragen. Denn K 100 hat auch 2017 viel vor. Und das nicht nur in Mitte.

So hat das Team zum Beispiel gerade das Projekt „Farbensammler“ gestartet. Fünfhundert Meter neben den Gärten der Welt im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, dem zentralen Ort der IGA 2017, liegt die Kita Abenteuerland. Angrenzend befindet sich das Stadtteilzentrum MOSAIK, das u.a. Angebote für Senior_innen bietet. Diese beiden benachbarten Häuser möchten unter Beteiligung verschiedenster Künstler Pflanzen aussuchen, pflanzen, Farben herstellen und drucken. Eine Parzelle für den Färbergarten wurde bereits vom Umweltbildungsprogramm der IGA zugesagt. Ziel des Projekts ist es, während der Laufzeit der IGA Siebdruckkurse mit Naturfarben aus eigener Herstellung für Besucher_innen anzubieten. Der Färbergarten ist gleichzeitig ein Begegnungs-, Experimentier- und Lernort. Die Kinder säen, ernten experimentieren: ein Ort des sozialen Austauschs und ein Angebot, den öffentlichen Raum als Kommunikationsort wiederzuentdecken und gleichzeitig eine Aufforderung, sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und sich konstruktiv einzumischen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Künste öffnen Welten“ geförderte Projekt startet mit dem Besuch von Färber- und Nachbarschaftsgärten, der Auswahl der Pflanzen, dem Anlegen von Beeten und dem Bau von Hochbeeten vor der Kita und dem MOSAIK. Das Projekt endet mit dem Angebot von Siebdruckkursen für Besucher_innen der IGA. Die Teilnehmenden sind die Expert_innen vor Ort.

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