Der Poesie ein Haus

Jana Bialluch

„Da waren sie, die beiden Dichter aus Pakistan. Der eine, groß, freundlich, mittelalt. Der andere alt, klein, reich. Diamantknöpfe an der Kamiz. Wir saßen auf der Bühne und steckten die Knöpfe ins Ohr, als Mr. Diamond mir zuraunte: ,Ich sage kein Wort. Über Gedichte spreche ich nicht.‘ Was tun? Ich weihte das Publikum in die diamantene Haltung ein. Die Gedichte auf Urdu – ein Traum. Konzentrierte Ruhe. Bis es raschelte, rechts. Zunehmend raschelte. Ich lächelte und neigte den Kopf auf die indischste Weise, die mir möglich ist. Alles geklärt. Im Gespräch zu dritt flogen wir dahin. Sagenhaft. Wie das so ist, im Haus für Poesie.“ Die Dichterin Ulrike Draesner über die Veranstaltung „Das Poetische ist politisch: Urdu-Lyrik aus Indien und Pakistan” am 27. November 2008 in der Literaturwerkstatt Berlin.

Zum 25-jährigen Jubiläum 2016 hat sich die Literaturwerkstatt Berlin umbenannt in Haus für Poesie. Es ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs und des Experiments. Es zeigt und fördert zeitgenössische deutsche und internationale Lyrik – in Lesungen, Übersetzungen, Diskussionen und in Kombination mit anderen Künsten.

Das Haus ist ein „Kind der Wende“: Am 13. September 1991 gründeten Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer in der Grotewohl-Villa im Majakowskiring die Literarturwerkstatt Berlin. Im darauf folgenden Jahr fand die erste „Berliner Sommernacht der Lyrik“ statt. Es war ein Lesefest, vor dem damals alle gewarnt hatten. Es werde niemand kommen, weil sich niemand für Gedichte interessiere, hieß es. Doch es waren mehrere hundert Menschen im Garten am Majakowskiring zu Gast, und das Fundament zu dem, was nach 25 Jahren zu den tragenden Säulen des Hauses für Poesie wurde, war gelegt. Viel ist seitdem geschehen, und die damals eher belächelte Kunst der Dichtung hat es zu mehr Ansehen gebracht.

Der neue Name ist ein Bekenntnis zur Dichtkunst und bringt zum Ausdruck, was seit vielen Jahren Programm ist. Mit internationalen Projekten und Festivals fördert es die Kunst der Sprache und versucht, immer mehr Menschen für Poesie zu begeistern. Das Online-Portal lyrikline, ein einzigartiges Text- und Stimmenarchiv, ist im Haus für Poesie ebenso beheimatet wie das ZEBRA-Poesiefilm-Archiv. Mit dem ganzjährigen Programm und während des poesiefestival berlin kommt Poesie auf die Bühne. Jährlich findet das im Jahr 2000 gegründete Festival statt. Der Wettbewerb open mike, der seit 1993 existiert, ist der bekannteste Nachwuchswettbewerb im deutschsprachigen Raum. Für den dichterischen Nachwuchs bietet das Haus die Lyrikwerkstatt open poems an. Und die Übersetzungsworkshops VERSschmuggel sorgen seit 2002 dafür, dass deutsche Dichtung beste Übersetzungen bekommt und Poesie aus anderen Sprachen ins Deutsche übertragen wird. 2016 wurde als neues Format der poetologischen Auseinandersetzung die Berliner Rede zur Poesie begründet.Mit der Umbenennung gehen programmatische Veränderungen einher, die im neuen Jahr angestoßen beziehungsweise weiterentwickelt werden. Zunächst gilt es, noch mehr Menschen für die Poesie zu begeistern, beispielsweise durch das Entdecken und Erforschen von Gedichten gemeinsam mit Dichterinnen und Dichtern. Neben den Projekten für Kinder und junge Leute sind Angebote für alle Generationen in der Planung. Außerdem ist das Haus für Poesie nicht nur ein Ort für Dichterinnen und Dichter mit ihrem Publikum, sondern auch für Übersetzerinnen und Übersetzer. Ein Gedicht zu übertragen, ist die Königsdisziplin der Übersetzung, und die Rolle des Übersetzers bedarf hoher Aufmerksamkeit. Ein weiteres Anliegen ist es, einen zum Teil brach liegenden Reichtum, nämlich die Werke sowie Ton- und Filmaufnahmen von Dichterinnen und Dichtern, die in verschiedenen Archiven schlummern, zu heben. Es braucht eine Datenbank, die erfasst, wo welches Zeugnis welchen Dichters zu finden ist.

Poesie vermag es, über Sprache die Welt zu ergründen. Sie kann trösten, Kraftquell sein und aktivieren. Das Haus für Poesie versucht, dieses kulturelle Erbe – die Dichtkunst gibt es seit mehr als 5000 Jahren – so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Und es pflegt die Dichtkunst, es verhilft ihr dazu, sich immer wieder neu zu erfinden.

Termine vom Haus für Poesie 2017

21. März: UNESCO-Welttag der Poesie

Stiftung Brandenburger Tor, Max Liebermann Haus, Pariser Platz 7, 10117 Berlin

16.-24. Juni: 18. poesiefestival berlin:

Europa Fata Morgana

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin

10.-12. November: open mike –

Wettbewerb für junge Literatur

Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, 12043 Berlin

www.haus-fuer-poesie.org

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