Lichtenberg im Fokus der Kunst

Gerhard Zaucker, Inge Gräber, Heinz-Hermann Jurczek

Die Lange Nacht der Bilder hat in diesem Jahr sämtliche Erwartungen und Dimensionen gesprengt: Sage und schreibe 240 teilnehmende Künstler an 40 verschiedenen Orten; Bus-, Fahrrad-, Fußtouren und Führungen durch die drei großen Ateliergebäude. Die Nachfrage war gewaltig, schon bei der Eröffnung in den Studios ID in der Genslerstraße in Hohenschönhausen zeichnete sich diese neue Größenordnung ab. Im sogenannten Kupfersaal, einer Hinterlassenschaft der Stasi, der ehemaligen „Entwicklungsabteilung“, fand die Eröffnungszeremonie statt. Bezirksbürgermeister Michael Grunst war mit einer launigen Rede zu hören, die alle begeisterte. Die Fachbereichleiterin Kunst und Kultur Dr. Catrin Gocksch, unter deren Leitung die Lange Nacht der Bilder seit Jahren organisiert und durchgeführt wird, sprach über die Bedeutung dieses Events für die Kunst und Kultur im Bezirk Lichtenberg, der sich inzwischen zum bedeutendsten Kunstbezirk Berlins gemausert hat. Man hörte immer wieder, woher das Publikum kam: Nicht nur aus Lichtenberg, auch aus Kreuzberg, Schöneberg, Tempelhof und Charlottenburg-Wilmersdorf waren sie gekommen. Zu Beginn sang Malonda die Menge in Extase, später unterhielten die DJanes Elektrik-Diva und Dora Pan die Meute bis in die frühen Morgenstunden. Die Studios ID sind mit Abstand das größte und bedeutendste Atelierhaus der Stadt. Hier hatten über sechzig Künstler ihre Ateliers geöffnet. Das ehemalige Stasiareal mit seinen beiden großen Gebäuden und den Höfen war der zentrale Ausgangspunkt der Langen Nacht. Von hier fuhren vier Busse zu den Kunstorten los, von Neuhohenschönhausen im Norden bis Karlshorst im Süden. Die Kommunalen Galerien bildeten dabei einen Schwerpunkt ganz eigener Art. Das Mies-van-der-Rohe-Haus mit seiner reduzierten, modernen Architektur und der Kunst von Daniel Buren, Günther Fruhtrunk und Sabine Boehl. Immer ein Hit. Konzeptkunst, Malerei in Hommage an das Bauhaus. Auch das Studio im Hochhaus zeigte zeitgenössisch Aktuelles von Matthew Burbidge und Anderea Pichl: Objekte und Installationen. Klassische Druckgraphik wurde in der Villa Skupin, dem Studio Bildende Kunst, vorgestellt. Hier ist das Graphik-Collegium zu Hause, hat im Keller seine Werkstatt. Hier konnten Kinder unter Anleitung ihre Zeichen- und Malkünste zeigen. Die Victoriastadt war traditionell stark vertreten. In der Buchhandlug Paul + Paula sah man Fotos und Texte von Claude Cahun und Suzanne Malherbe, Gedichte aus Cahuns Werk wurden vorgetragen. In dem Restaurant Jelänger Jelieber waren Fotografien von Stefan Angermüller zu sehen, Stadtwelten und Strukturen. Die okazi gallery in der Türrschmidtstraße zeigte Zeichnungen und Videokunst von Stephane Leonard. Das Museum Lichtenberg im Stadthaus war mit einer Sonderausstellung von Sibylle Waldhausen vertreten – Bronzeplastik und Papierarbeiten. Von Wulf Olm sah man Presse-, Reportage- und Tierfotos.

In diesen Tagen kommen immer mehr Eindrücke bei den Organisatoren an. So schrieb uns Tour-Guide Christiane Wiegand: „Ich habe um 19 Uhr 15 Personen und um 21 Uhr 12 Personen durch die Victoria-Stadt geführt. Das Alter der Besucher*innen reichte von 20 bis 80 Jahren, und ich war sehr erfreut, dass es in beiden Gruppen eine gute Mischung zwischen der jungen und älteren Generation gab. Die Rückmeldungen beider Gruppen waren sehr positiv. An den meisten Orten kam es zu einer persönlichen Begegnung mit den Künstler*innen. Die textile-art -Ausstellung in der Galerie in der Victoriastadt war für viele ein Highlight und auch die beiden Ausstellungen im Stadthaus.“ Tour-Guide Michaela Nasoetion schrieb uns über das Weitlingkiez Fotofestival: „Das Weitlingkiez-Kollektiv hat professionelle Fotografen und Hobbyfotografen eingeladen, zum Thema Vielfältigkeit in meinem Kiez Fotos zu machen. Dieser Ort funktionierte so richtig gut in dem Kontext Lange Nacht der Bilder mit ihrem temporären Event. Der Abend war noch jung und doch schon dunkel genug, um die großformatige Fotopräsentation auf der Hauswand gegenüber des Hotels schön sehen zu können. …Die Fotostrecke war inspirierend und die Atmosphäre stimmig: hier kamen auch die Teilnehmenden der Gruppe untereinander gut ins Gespräch.“ Tour-Guide Julia Hürter berichtete über ihre Fahrradtour: „Eine Station war der Manet-Club, eine Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch kranke Menschen. Hier wurden wir herzlich empfangen. Uns wurden belegte Brote, Gemüse mit Dip, Würstchen und Getränke gereicht. Das kam genau richtig, denn wir hatten alle Hunger und Durst. Es spielte eine Band, deren Musik mich an Klezmer erinnerte. Im Club sind Bilder zu sehen, die von der Malgruppe angefertigt wurden. Die Leiterin der Künstlergruppe hat für alle Fahrradtourteilnehmer Erklärungen über den Manet-Club abgegeben. Der Club hat in diesem Jahr das erste Mal eine geführte Tour empfangen, und ich sollte betonen, wie sehr sie sich darüber freuen, dass sie nach zwölf Jahren von einer Tour besucht werden. Unsere letzte Station war die Villa Heike. Dort waren ein Film von Tina Bara und eine Plakatserie von Joerg Waehner zu sehen. Es herrschte so etwas wie Partystimmung, und durch die Größe des Ortes verteilten sich die Teilnehmer. Der Kurator Michael Schäfer stand für Fragen zur Verfügung, und es ergaben sich auch Gespräche mit Künstlern, die in dem Gebäude Ateliers haben.“

Der Mitorganisator der Langen Nacht Heinz-Hermann Jurczek war erfreut über das große Interesse an den Arbeiten von Karolin Hägele und Teresa Casanueva im Freien Kunstraum GISELA, einer Einrichtung des Kulturrings in Berlin. Von dort aus starteten Fahrrad- und Fuß-Touren, an denen fünfundzwanzig Personen ­teilnahmen. Die Kombination aus Stadtlandschaften und Maskenbilder der beiden ausstellenden Künstlerinnen bildete eine interessante Mixtur aus Bildern, Drucken und Objekten, die gut beim Publikum ankam. Das Publikum strömte bis Mitternacht.

Schon aus diesen wenigen Berichten erkennt man deutlich: Das Faszinierende an der Langen Nacht in Lichtenberg ist ihre Vielfältigkeit, sowohl was die Kunst angeht, als auch auf das Publikum bezogen. Hier waren Leute unterwegs, die sich mit Kunst professionell auseinandersetzten, die sich über neue Tendenzen und Trends in den Atelierhäusern informieren und anregen lassen wollten. Direkt daneben beobachteten wir Familien mit Kindern, die einfach Spaß an der Freude hatten und für die Kunst noch etwas Fremdes war, die sich erst seit gerade eben mit Kunst auseinandersetzten, die erstaunt, überrascht, entzückt und erschrocken sein konnten. Leute, die in eine für sie ganz neue Welt eintauchten und bereit waren, sich zu bereichern und beschenken zu lassen. Verarbeitet man all die Eindrücke, so ist der Kulturring in Berlin e.V. stolz darauf, die Koordination und Organisation der Langen Nacht in ganz wesentlichem Maße mitgestaltet zu haben. Aus Lichtenberg kommt das Licht der Kunst!

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