Kunst im öffentlichen Raum – Berlin bröckelt

Uwe Lauterkorn

Es ist ein regnerischer und grauer Tag. Genau das richtige Wetter für unser neues Team „Kunst im öffentlichen Raum“, um sich in das Archiv des Schöneberg Museums zurückzuziehen, um Nachforschungen anzustellen …

Im Frühjahr 2014 schloss der Kulturring in Berlin e. V. ein sehr spannendes Projekt ab. „Kunst im öffentlichen Raum Treptow-Köpenick“ befasste sich zwei Jahre lang mit der aufwändigen Erfassung von über 600 Objekten im Bezirk. Wir freuen uns, dass in diesem Sommer ein gleiches Projekt für Tempelhof-Schöneberg starten konnte, nachdem wir das geeignete Team dafür gefunden hatten. Die Herausforderung ist eine besondere, denn ein ausgeprägtes Kunstverständnis ist nicht die einzige Voraussetzung, um der Mammutaufgabe gewachsen zu sein. Weil der Datenbestand der Verwaltung im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg lückenhaft und veraltet ist, für Tempelhof zum Beispiel befindet sich eine Liste des Landesdenkmalamtes auf dem Stand von 2004, gilt es, viele unterschiedliche Kriterien zu beachten und zu recherchieren.

Die Kunst im öffentlichen Raum hat es nicht leicht

Baustellen, Diebstahl, Vandalismus und Verfall bedrohen viele der Plastiken, Skulpturen, Installationen, Wandgemälde und Denkmäler. In etlichen Fällen hat die Verwaltung den Überblick über Zustand, Verbleib und sogar Zuständigkeiten verloren. Selbst bei einer so bekannten Plastik wie dem Luftbrückendenkmal von Eduard Ludwig, die im Jahr 1951 auf dem Platz der Luftbrücke in Tempelhof aufgestellt wurde, sind die Zuständigkeiten für Pflege und Erhalt zur Zeit nicht eindeutig klar, die Unterlagen sind verschwunden. Bei der markanten Stahlplastik Arc de 124,5° von Bernar Venet, ein Geschenk Frankreichs an Berlin zur 750-Jahr-Feier, die lieblos behandelt auf der Mittelinsel vor der Urania ein trostloses Dasein fristet, besteht Handlungsbedarf. Es ist beschmiert, es wurde mit falscher Farbe „repariert“ und es ist durch die verdeckende Bepflanzung teilweise kaum zu erkennen.

Um einen aktuellen Überblick über die Kunst im öffentlichen Raum zu erhalten, darum kümmern sich nun fünf engagierte Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber in einem dynamischen Team unter der Leitung von Reno Döring und Friederike Büchner. Täglich durchstreifen Alexander Daniel, Bettina Dantonello, Uwe Lauterkorn, Hannelore Osterburg und Lutz Rehfeld die verschiedenen Ortsteile Tempelhofs und Schönebergs. Ausgerüstet mit Kameras und Checklisten, suchen sie Hunderte von Kunstwerken und Denkmäler auf, um sie genau zu untersuchen. Nebenbei entsteht so auch eine aktuelle fotografische Dokumentation der Kunstwerke. In Zusammenarbeit und enger Abstimmung mit dem Schöneberg Museum nehmen sie wichtige Daten zur Materialbeschaffenheit, zum witterungsbedingten Zustand, Vandalismus und Verfall auf, die in eine Datenbank einfließen. Veronika Liebau, Leiterin des Museumsarchivs in der Hauptstraße 40, zeigte sich hocherfreut, dass es nun endlich eine aktuelle Übersicht zur Kunst im öffentlichen Raum geben wird. Das Museum selbst verfügt weder über die personellen noch finanziellen Mittel, um in diesem doch wichtigen Bereich tätig zu werden. Bei Recherchen stellte sich heraus, dass es um die Literatur zu Kunst im öffentlichen Raum in Berlin spärlich bestellt ist. Neben einem sehr schön gemachten Buch aus dem Jahr 1979 (Fuchs im Busch und Bronzeflamme – Zeitgenössische Plastik in Berlin-West, Heinz Moos Verlag), ist höchstens noch das Buch Kunst in der Stadt – Skulpturen in Berlin, Nicolai Verlag 2003, erwähnenswert. Was dieses Thema angeht, gibt es noch viele weiße Flecken.Kleine und große Entdeckungen

Bei der Arbeit stellte sich schon bald heraus, dass es viel Neues zu entdecken gibt. Man bekommt einen ganz anderen Blick auf die Stadt, sobald man sich den Kunstwerken in Grünanlagen und auf Straßen und Plätzen zuwendet. Auch Kleines findet sich. So entdeckten Alexander Daniel und Uwe Lauterkorn eine ganze Reihe charmanter Tonfiguren, alle nicht größer als 40cm, die unter dem Titel „Kinderkönige“ auf dem Zaun und an Fassaden des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Schöneberg zu bestaunen sind. Immer wieder wird auf den Streifzügen auch Geschichte erlebbar, so zum Beispiel für Tina Dantonello, die im Bornhagenweg in Lichtenrade auf das Mahnmal für das ehemalige Außenlager des KZ Sachsenhausen und die Zwangsarbeiter stieß. Eine andere Entdeckung ist der einmalige Kunstparcour auf dem Gelände des Auguste-Viktoria-Klinikums an der Rubensstraße, den Hannelore Osterburg und Lutz Rehfeld bearbeiteten. Ihre Recherche ergab, dass es nur einem ehemaligen Chefarzt des Klinikums zu verdanken ist, dass heute dort über fünfzig Kunstwerke stehen, die nicht nur für die Patienten sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich sind.

Berlin bröckelt

Was leider auffällt, ist der erschütternd schlechte Zustand vieler Kunstwerke und deren Umfelds. Wenn sie auf öffentlich zugänglichem Privatgrund stehen, sind sie fast immer in einem gepflegten Zustand. In öffentlichen Grünanlagen, auf Straßen und Plätzen, befinden sie sich jedoch oft in einem bemitleidenswerten Zustand. Ebenso das Umfeld. Ins Auge springen natürlich die Graffitis und Tags, die überall zu finden sind und viele Kunstwerke geradezu entstellen. Oft sind die Werke aber auch dem Blick durch wuchernde Pflanzungen entzogen oder stehen wie Relikte einer vergangenen Zeit verlassen und verloren da, stumm auf ihr zwangsläufiges Ende wartend. Hier hat die Metropole Berlin, die sich rühmt, ein Touristenmagnet zu sein, viel Arbeit vor sich.

Ein Beitrag für die Stadt

Die Ergebnisse unseres Projektes werden gleich mehreren Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Das Archiv des Schöneberger und Tempelhofer Museums wird die Daten und Bilder übernehmen. Der Kulturring in Berlin e. V. wird für alle Interessierten eine öffentlich zugängliche Datenbank einrichten. Wie schon in Treptow-Köpenick, wird auch das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von unserer Erhebung profitieren. So gab zum Beispiel das Bezirksamt Treptow-Köpenick im Juni dieses Jahres eine Broschüre mit einer Auswahl von Kunstwerken im öffentlichen Raum heraus. Verschiedene Spaziergänge mit Karten und Wegmarken laden Touristen und Berliner ein, Kunst im öffentlichen Raum (Eintritt frei!) zu besuchen. Das Bezirksamt veröffentlichte zudem eine Liste der Kunstwerke auf seiner Website (mehr dazu unter tinyurl.com/hl27gaq).

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