horst bartnig _ konkret ... konkret _ zum 80.

Petra Hornung

Recht eigentlich bedarf es keines besonderen Anlasses, auf das Werk und Leben von Horst Bartnig zu verweisen. Seine Kunst ist präsent und von der Sorte, die nicht altert. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter „Konkreter Kunst“, kann auf atemberaubende und vielbeachtete Ausstellungen national und international verweisen, erhielt neben anderen hochdotierten Preisen 2001 den begehrten Hannah-Höch-Preis. Die Kataloge, Publikationen über ihn sind brillant. Dies obwohl oder weil sein Werk durchaus polarisiert; es fasziniert ebenso, wie es irritiert. Und – Horst Bartnig gilt als ein Mann mit Haltung. Einer, der seinen Weg mit beeindruckender Konsequenz verfolgt, gleich welche Begehrlichkeiten, Ignoranzen, Dogmen oder Verführungen ihm begegnen. Das Schöne zudem ist, er hat sich seinen kritisch-analytischen Geist und Blick auf die Dinge auch nach 1989 bewahrt und seinen feinen Humor auch. Es ist ganz einfach eine Freude teilzuhaben an seinen Differenzierungen, zu denen der naturgemäß feingeistige und konkrete Denker und Macher neigt. Horst Bartnig ist eben ein Weltenbürger. Der war er schon immer. Er hat Freunde, Gleichgesinnte auf der ganzen Welt und auch ganz in seiner Nähe. Seine Mail-art-Lust ist ebenso beredt wie legendär.

Im Grunde sind es die Widersprüche, von denen Horst Bartnig sein Leben lang ein Bild anstrebt. Kein Abbild. Und obwohl er bis heute seine frühen Naturstudien, Aktzeichnungen schätzt, weil er den Weg ihrer freudvollen und ernsthaften Erarbeitung kennt, kam der Zweifel am Wert des sogenannten Gegenständlichen für seine Vision von Kunst. Für Bartnig bedeutete das die Suche nach einer Kunstform, die ehrlicher ist; die er ehrlicher empfand, befreit von den Ingredienzen eigener Darstellung, die sehr wohl im Film, im Video ihre Berechtigung hat. Nur taugt sie nicht für das, was Horst Bartnig beschäftigt: die innere Sichtung der wirkenden Algorithmen, die die „Welt im Innersten zusammenhält“… oder bersten lässt, wie Lebensläufe und Haltungen. In der Hinwendung zur „Konkreten Kunst“ findet Bartnig das Terrain für sein Schauen als „Kopfwerk“, das sich im Befragen so viel wie möglicher Zusammenhänge zu brillanter, klarer Gestalt findet.

Horst Bartnig ist ein Künstler, der den Zahlen ebenso verbunden ist, wie der Sinnlichkeit. Arbeiter und Poet. Die Berechnungen, denen er zu einem nicht unbeträchtlichen Teil traut (nebenbei, er war der 1. Künstler in der DDR, der mit Hilfe des Computers/Großrechners seine Kunst schuf), haben immer den schier unendlichen Prozess des Ausprobierens an ihrer Seite. Im Resultat entstehen keine unterkühlten Computerkünste. Farben, Linien, Flächen gehen durch die Hand des Künstlers. Ein unglaublicher Aufwand bei der Dimension seines großen Werkes. Nur die letzten Arbeiten sind digital gedruckt, sozusagen als letzte Konsequenz gegen die Überbewertung eines sogenannten Personalstils. „Rubens“, sagt er, „hatte genug Angestellte, die ihm die Tiere malten oder die Brüste, oder die Frisuren…“. Die Natur braucht Bartnig jedenfalls nicht – zumindest nicht für seine Arbeit und nicht als Anregung. Er nimmt die Dinge, wie sie sind, wahr. Er nimmt, was er findet, sucht einen genauen Rhythmus und lässt ihnen die Freiheit des Sich-Verströmens. Die unendlichen Varianten, die sich aus einfachsten Konstellationen bilden lassen, interessieren ihn. Manchmal sind das rein rechnerisch mehrere Millionen. Diese Dimension allein ist wahr und ungeheuerlich und kann dir den Verstand rauben. Das Lustige dabei ist, man kann die Dinge damit ins Gegenteil, zumindest scheinbar, verkehren. Bei dreidimensionalen Gebilden gibt es immer auch Leer-Formen, Nichtformen. Die gelten genauso, sind genau so viel wert und gehorchen denselben Gesetzen. Also, positiv ist negativ. Man muss schon ein wenig besessen sein, um solche Dinge wissen zu wollen. Durchführbar ist das nicht ohne eine subtile Philosophie im Hinterhalt. Und letztlich steht hinter der akkuraten Strenge womöglich die alte Menschheitssehnsucht nach einer funktionierenden Ordnung in diesem ganzen Weltenchaos. Horst Bartnig jedenfalls beherrscht in seinem Kunst-Biotop alle Vorhersehungen. Uns bleibt die Freude dann und das Erstaunen und die Beruhigung darüber, dass es zwischen positiv und negativ, gut und böse, richtig und falsch, jung und alt mindestens eine Million Varianten gibt – und zwar nicht nur theoretisch, wie wir sehen können.Dass Horst Bartnig lange schon in Treptow-Köpenick seinen Lebens- und Schaffensmittelpunkt gefunden hat, macht den Bezirk ganz einfach reicher. Man kennt ihn. Er gehört zum Bild von Adlershof; der Herr Bartnig mit seinem respektablen Bart, den er kürzlich doch ein wenig gestutzt hat, der aber nach wie vor ganz entzückend mit seinem höchst individuellen Outfit harmoniert. Seit 1966 wohnt der Künstler in Baumschulenweg, hatte in der Rinkartstraße ein Dachatelier. Nach Adlershof kam er 1986. Dort reparierte und baute er die oberste Etage des Hauses 39 in der Dörpfeldstraße mit viel Aufwand selbst aus. Dort feierte er seinen 50. Geburtstag. Dort musste Bartnig 1993 ausziehen; die neue Miete war nicht zu akzeptieren. Umzug in die Friedensstraße, in die ehemalige Neuapostolische Kirche. Natürlich wieder kein Luxusatelier, aber ein Refugium der besonderen Art begegnet uns hier, absolut anregend, im Treppenflur die Offenbarung bereits: die selbst gestalteten Plakate, seine Werke und „Denkhilfen“. Der große Arbeitsraum: Werkstattcharakter, sprechender Papagei und das Flair, das vom Meister selbst ausgeht. Immer noch und immer wieder.

Der Gründe sind es also viele, sich erneut und mit Freude auf Bartnigs Kunst einzulassen. Die Gelegenheit ist günstig: Am Sonntag, dem 20. November 2016, 17:00 Uhr, findet die Ausstellungseröffnung „horst bartnig zum 80sten _konkret“ in der Galerie im Kunsthaus der Achim-Freyer-Stiftung, Kadettenweg 53 in 12205 Berlin statt. Auf der Einladungskarte ist eines seiner letzten Werke abgebildet: „80 Unterbrechungen in schwarz und weiß, 80 Streifen in Farben“. So ist es also doch etwas Besonderes mit den runden Geburtstagen. Die haben mit Zahlen zu tun, mit Verläufen oder mit Abweichungen, Brüchen mitunter, mit Abgeschlossenem, Erreichtem, Neuanfängen und Unterbrechungen. Eines aus dem Anderen; Wenn – dann… Im besten Falle folgt aus der Vielzahl scheinbar unlogischer Folgen oder Serien ein logischer Logarithmus. Und der könnte das Leben selbst meinen, ohne je abbilden zu müssen. Horst Bartnig hat sich und uns ein Bild daraus gemacht. Dem Künstler und dem Menschen ist das, was man Klarheit nennt und Ehrlichkeit – Lebenselixier. Damit treibt er sein ernsthaftes Spiel jeden Tag aufs Neue mit einer leidenschaftlichen Präzision, einer Frische und Weisheit, um die man ihn nur neidlos bewundern kann und sollte.

Und es bleibt dabei: „Die Ästhetik aus Dogma und Freiheit funktioniert – aber nur bei Horst Bartnig.“ – Gratulation also von Herzen, Glückwünsche und Dank!

Archiv