Phantasien aus Licht und Schatten

Dagmar Gleim

Ein Freiwilliger aus Sri Lanka entführt uns in die Welt des Doppeldeutigen

Das Schattenspiel gibt es seit den Anfängen der Menschheit. Platon beschrieb es vor über 2.000 Jahren in seinem Höhlengleichnis. Etwas Unwirkliches, Geheimnisvolles ist ihm zu eigen: so starren gefesselte Höhlenbewohner auf ihre eigenen Schatten, die durch ein Feuer oder einen Lichtstrahl hinter ihnen auf die Höhlenwand geworfen werden und halten sie für Abbilder der Realität. Platon wollte damit veranschaulichen, dass wir gefangen sind in unserem Gedankenkäfig, unserer Interpretation der Wirklichkeit. Wir schauen nicht nach hinten. Wir halten fest an dem, was wir glauben zu wissen und sind nicht willens, die gewohnte Sichtweise zu hinterfragen, zu überprüfen, ja Grenzen zu überschreiten, und zwar physisch und mental. Don A. Wijayaweera (sprich: Wiedtschewiere) ist auch einer, der mit dem Schatten spielt und Sehweisen alterniert, nur dass er das Publikum vor das Licht führt und nicht hinter selbiges. Für ihn befasst sich das Schattenspiel mit den elementaren Dingen des Lebens. Das Wesen des Schattens ist vielschichtig, unheimlich, verzaubernd und übersinnlich. Der Schatten, so meint er, ragt in Bereiche hinein, die jenseits unserer bewussten Wahrnehmung liegen. Ähnlich dem Traum, den wir auch nicht richtig zu fassen bekommen, der uns eine Wirklichkeit vorspielt, die wir so aus der realen Welt nicht kennen und die dennoch zu uns gehört. Die Bilder und Geschichten entstammen schließlich unserem Kopf. Nach Auffassung Wijayaweeras ist das konzentrierte Hören und Erkennen beim Anschauen eines Schattenspiels ein Weg in die Stille des Geistes und somit ein meditativer Akt. Möglich, dass sich auf diese Weise ein neues Fenster öffnet für den Zuschauer, mit einem neuen Blick auf das Dargebotene und einem Entsorgen des Althergebrachten.

Das Schattentheater ist wahrscheinlich die älteste Theaterform überhaupt. Die Wurzeln liegen im Dunkeln, als Ursprung wird aber meist Indien und Indonesien angenommen. Seine Quellen waren religiöse Riten und nachgestellte Szenen aus den heiligen Büchern. Aus Indien kam die Spielform nach Ägypten, in die Türkei und Italien. Es ersetzte als Laientheater das klassische Theater für die ländliche Bevölkerung und Unterschicht. Im 18. und 19. Jahrhundert erfreute sich das Schattenspiel in Europa großer Beliebtheit, besonders in Frankreich als ombres chinoises (chinesischer Schatten). Zeichnet sich das traditionelle asiatische Schattenspiel seit jeher durch feststehendes Licht, flache, am rechteckigen Schattenschirm geführte Figuren und hinter der Leinwand stehende Spieler aus, ist das zeitgenössische Schattentheater hingegen eine lebendige Ausdrucksform, bei der sowohl das Licht, als auch die Schattenobjekte im Raum bewegt werden können. Nicht zu vergessen ist dabei die sinnliche Bilder suggerierende Choreographie der Tänzer.Wijayaweera, ein Singhalese, ist Schatten(schau)spieler. Er agiert in dieser Kunst in 25 Rollen und stellt Menschen, Tiere, Pflanzen und vieles mehr dar. In Berlin lebt der Künstler seit 1981 und gibt als Berufsbild neben Schattenspieler, Radiomusiker, Singhalesischer Tänzer, Bus-Designer, Bühnenbildner, Maler und Lehrer an. Daneben leitet er auch Workshops für Kinder und Erwachsene im Theaterhaus Mitte. Ausgestattet mit Talent und großem Herz, lässt er auch Andere an der Technik, die er sich erarbeitet hat, teilhaben. „Ich habe viele Schattentricks. Mit meinen guten Ideen haben russische Schauspieler in Moskau gespielt.“ Was das für Tricks und Kniffe sind, verrät er aber nicht.

Werden die Vorstellungen zwischen Klein und Groß getrennt? Nein, alle können kommen. Aber für Kinder werden leichter zu verstehende Vorstellungen angeboten. Mit dem Spiel des Handschattens kann er auch alleine arbeiten, nur mit dem Kassettenrecorder und einem Mikrophon. Für Kinder ist das eine spannende, orientalisch gefärbte halbe Stunde und animiert zu aufmerksamem Rätselraten, wen oder was sie auf der Leinwand sehen. Wijayaweera bietet aber auch großes Schattentheater für Erwachsene an. So hat er im Theaterhaus Mitte mit Tänzern, Musikern, Schattenspielern und mehreren Figuren Vorstellungen gegeben. „Die Figuren stellen die gleichen Bilder der Außenwelt nach, die Zuschauer sehen: eine Pagode, einen buddhistischen Tempel, und der ist aus Menschen gebaut,“ beschreibt Wijayaweera die Kunst und deren nahezu naturalistische Wiedergabe, die nur eben einen Hauch mystischer ist. Er spielt, irritiert und bezaubert mit der geheimnisvollen Wirkung der Figuren, mit den Menschen, den manuellen Geschicklichkeiten, deren Schatten auf die Leinwand geworfen werden und die den Blick auf eine andere Welt lenken.

Derzeit leistet Wijayaweera seinen Bundesdienstfreiwilligendienst im Kulturbund Treptow in Baumschulenweg. Diese Arbeit macht ihm einen solchen Spaß, dass er bereit ist, auf urheberrechtliche Forderungen für die Teilhabe seiner Ideen zu verzichten. Auch mit dem bescheidenen Salär eines sogenannten Bufdis kommt er klar. Als Künstler mit vielen Gaben, besonders als Maler, könnte er sich auch vorstellen, seine Kunst einmal im Kulturbund in der Ernststraße 14-16 auszustellen. Wijayaweera ist 1957 in Anuradhapura, der ehemaligen Hauptstadt Sri Lankas, geboren und wuchs dort mit zehn Geschwistern auf. Ein trauriges Kapitel der Geschichte Sri Lankas musste er glücklicherweise nicht miterleben. Er ist gerade noch rechtzeitig nach Berlin gekommen, denn zwischen 1983 und 2009 herrschte ein offener Bürgerkrieg zwischen tamilischen Separatisten und der von Singhalesen dominierten Zentralregierung. Ein über 25 Jahre andauernder Kampf war das, in dem sich die beiden Kriegsparteien nichts schenkten. Wijayaweera lebt jetzt seit 35 Jahren zusammen mit seiner Familie in Berlin. Und er freut sich, dass sich die Auseinandersetzungen zum Guten für beide Parteien gewendet haben.

Vor zwei Jahren war er in Sri Lanka und betont: „…das war wunderschön. Es gibt keinen Krieg mehr, wir sind im Frieden zusammen.“ Und, nein, kein Familienmitglied sei während des Krieges zu Schaden gekommen. Er unterscheidet nicht nach Gruppen: „Bei mir gibt es keinen Abstand.“ Schwarz, braun, jeder sei ein gleichwertiger Mensch. Keine Ressentiments, auch bezogen auf die deutschen Verhältnisse nicht. „Ausländer raus“-Rufe haben sich, spätestens seit der Flüchtlingswelle, mancherorts deutlich verschärft. Auf die Frage, ob er es hier auch mit Anfeindungen zu tun hat, kommt ein fast nicht hörbares „Ja/nein“. „Manchmal passiert etwas, wenn ich Fahrrad fahre, aber das ist OK“. Er habe viele Menschen mit komischen Launen in der Stadt gesehen. Das klingt ein bisschen so, als müsse man diesen all die Schmähungen nachsehen. Vielleicht liegt es im Wesen des buddhistischen Glaubens, diese Zuversicht und das Vertrauen auf Unverletzlichkeit. Buddha, sagt Wijayaweera, „…ist ein weiser Lehrer. Und der sagt, wer schlechte Sachen macht, bekommt schlechte Sachen zurück.“ In dem Fall kann er ja mit Gelassenheit sein Leben betrachten.

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