Mit Chuzpe und Kunst in den Widerstand

Dagmar Gleim

Im Programm des Kunstkreuz 2016 unter dem Motto „Aus Gewohnheit anders!“ finden im Oktober im Kulturbund Treptow anlässlich zweier Jahrestage zwei Lesungen statt, die sich thematisch ähneln, vom Ansatz und Stil aber grundverschieden sind. Zwei Ausdrucksmittel der Auflehnung, des Widerstandes in einer Zeit des absoluten Gehorsams und der Diktatur werden einmal heiter und einmal ernst beschrieben. Beide Darstellungen beschreiben Zeiten, in denen das Deutsche Reich sich zu Großem aufschwang, sich überfraß und als Folge kleinlaut wieder von Neuem beginnen musste. Nach zwei verlorenen Kriegen stand das damalige Deutschland fast vor seiner eigenen Vernichtung.

Zum einen ist es die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick, Anfang des 20. Jahrhunderts, welche zeigt, wie leicht es sein kann, die Menschen hinter das Licht zu führen. Einfach Kleidung und Gebaren eines Militaristen annehmen, schon steht das Gegenüber stramm. Unbeabsichtigt legte Willhelm Voigt damit den preußischen Militär-Gehorsam und Untertanengeist bloß.

Zum anderen handelt es sich um das essayistische und autobiografische Werk von Peter Weiss über die Zeit und Folgen des Faschismus. In diesem wird die Kunst aufgefordert, zu klagen, zu widerstehen, verlangt wird die Suche nach Lösung und Erlösung. Kunst wird vom Autor als eine Waffe gegen Erniedrigung und Brutalisierung beschrieben, Selbsterlebtes wird stilistisch durch eine erfundene Figur repräsentiert.

Die beiden Lesungen zu politisch ähnlich gelagerten Themen, Achim Purwin mit dem Cartoon „Der Kassenraub zu Köpenick“ sowie die Lesung aus Peter Weiss’ Roman „Die Ästhetik des Widerstandes“, könnten in der Form nicht unterschiedlicher sein, im Inhalt haben sie aber Schnittmengen, die auf ein Grundproblem hinweisen, dass zur Zeit Kaiser Wilhelms, aber auch in der nachfolgenden Weimarer Republik und insbesondere in der faschistischen Diktatur virulent war. Gehorsam und Unterordnung, Verbote, Gleichschaltung, Sippenhaft und Vernichtung.

In dem Comicstrip von Purwin wird nur ein Protagonist dargestellt, der die Auflehnung probt. Allerdings ist dieser so verschmitzt und frech, dass sich viele mit ihm solidarisieren, ohne den moralischen Finger zu erheben. Die Rede ist vom Hauptmann von Köpenick, mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Voigt, ein Schuhmacher, der am 16.10.1906 sich die Freiheit nahm, die bürokratischen Zumutungen über seinen Status als Bürger Berlins nicht länger hinzunehmen. Seiner Vorstrafen wegen erteilte man ihm im Großraum Berlin ein Aufenthaltsverbot. Er war also kein unbescholtener Mann. Raub und Urkundenfälschung gehörten zu seiner Vita; er wurde mehrmals verurteilt und verbrachte viele Jahre im Gefängnis. Mit seinem letzten Coup aber legte Voigt unbeabsichtigt den preußischen Militär-Gehorsam und Untertanengeist bloß. Der Autor Achim Purwin möchte mit einem kleinen Augenzwinkern die Allgemeinheit auf den wahren, rechten Geschichts-Weg führen. Das Ende 2015 erschienene Buch „Der Kassenraub zu Köpenick“ ist ein Comicheft, in dem detailliert und kenntnisreich die Geschichte von Friedrich Wilhelm Voigt nachgezeichnet wird. Es beginnt mit dessen Entlassung aus dem Gefängnis und den vergeblichen Bemühungen, redlich zu werden, und schildert dann die gezielten Vorbereitungen und den minutiösen Ablauf der Köpenickiade, die damals sogar international Aufsehen erregte. Ähnlich wie die Asterix-Geschichten ist auch dieser Strip mit vielen Erklärungen, Fußnoten und Zeichnungen versehen, was das Lesen lehrreich macht und das Interesse für diese Zeit weckt. Eine ältere Rezeption dieser Geschichte stammt von Carl Zuckmeyer. Betitelt mit „Der Hauptmann von Köpenick. Ein deutsches Märchen“, wurde es 1931 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. Zuckmeyer übertrug es allerdings in seine Gegenwart und spielte damit vor allem auf die seit den ersten Wahlerfolgen der NSDAP allgegenwärtigen braunen Uniformen der NS-Gefolgsleute an. Das Motiv Voigts für seinen Überfall sei nach dessen eigener Aussage ausschließlich der Erwerb eines Passes gewesen, um wieder ein normales Leben beginnen zu können. Bei Zuckmayer ist der Hauptmann ein edler Räuber, was wohl nicht ganz den Tatsachen entspricht. Aber selbst Goebbels soll die Verhohnepipelung des alten preußischen Regimes, des verruchten Absolutismus’, des Kadavergehorsams, des ostelbischen Staates und des blutbefleckten Militarismus’ in seiner Rezension im „Der Angriff“ von 1931 gelobt haben. Später wird er sich selbst, und sei es nur bildlich und moralisch, mit Blut beflecken.

Diese Anspielung baut eine zeitliche und inhaltliche Brücke hinüber zu einem anderen Format der Darstellung, dessen Geschichte in dieser dunklen Zeit spielt und eine andere Form des Widerstands beschreibt. In diesem werden viele Widerständler beschrieben. Menschen, die es gewagt haben, gegen eine grausame Diktatur aufzubegehren, obwohl sie mit dem Tod als Strafe und der in dieser Zeit gängigen Sippenhaft rechnen mussten. Die Rede ist von Peter Weiss und seiner Trilogie „Die Ästhetik des Widerstandes“. Weiss, Jahrgang 1916, zeichnete ein ausgeprägtes Rechtsempfinden aus, das ihn Mitte der Sechzigerjahre in die schwedische kommunistische Partei eintreten ließ. Das Motiv nach zwei Weltkriegen sei die Auffassung, dass nur in der sozialistischen Gesellschaftsordnung die Möglichkeit zur Beseitigung der bestehenden Missverhältnisse der Welt möglich sei. Die Tantiemen aus dem Stück „Die Ermittlung“ aus dem Jahre 1965 über die Auschwitzprozesse ließ er zum Beispiel KZ-Häftlingen zukommen. Auch Opfer des südafrikanischen Apartheidregimes worden von ihm mit Spenden bedacht.

Die Ästhetik des Widerstands entstand in zehnjähriger Arbeit zwischen 1971 und 1981. Es stellt einen Versuch dar, die historische und gesellschaftliche Erfahrung zwischen 1917 und 1945 sowie ihre ästhetische Rezeption und politischen Erkenntnisse aufzuzeigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Rolle Kunst und Kultur als Nährboden für politischen Widerstand gegen totalitäre Systeme spielen können. Weiss schildert nicht nur die Lebensbedingungen, unter denen Menschen mit Kunst in Berührung kamen. Er beschreibt auch, wie bestimmte Kunst den wenigen Menschen, die sich dem Faschismus widersetzten, Kraft und Orientierung vermitteln und das politische Bewusstsein schärfen konnte. Liegt Weiss richtig mit seiner Annahme, ein jeder könne sich bei massiven gesellschaftlichen Veränderungen, wie sie die „Neue Ordnung“ im Dritten Reich hervorgerufen hatte, quasi adaptiv in eine neue Position bringen und den Widerstand wagen? Wider die gefühlt verlässliche und verbindliche Gewohnheit, wider die Angst vor dem Neuen, den vielfältigen Gefahren, Sanktionen, Strafmaßnahmen, die in der Zeit des Nationalsozialismus’ ohne Zögern eingesetzt wurden. Hätten wir uns getraut?

Einen Anstoß hat er mit seinem Werk ganz sicher gegeben: Nur weil die Widerständler sich todesmutig der unaufhaltsamen Maschinerie des Mordens im Namen der Rasse entgegen stellten, so der moralische Anspruch Weiss’, habe das unterlegene Deutschland überhaupt das Recht behalten, wieder aufgenommen zu werden in den Kreis der Zivilisationen nach dem Ende voller Schrecken.

Mit Kunst den Widerstand zu wagen, ist im großen Maße zu würdigen. Der Mut zum Widerstand in der Diktatur kann nicht überbewertet werden. Der Widerstand in einem stramm organisierten Kaiserreich auch nicht.

- Achim Purwin, „Der Kassenraub von Köpenick“ – Legende, Wahrheit, Heiterkeit, 11.10., 19 Uhr.

- Lesung aus dem autobiografischen Roman von Peter Weiss mit Alexander Bandilla. Einführung: Dr. Reinhardt Gutsche, 25.10., 19 Uhr, jeweils Kulturbund Treptow, Ernststr. 14/16, 12437 Berlin.

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