Rausgehen

Elke Melzer

Malerei und Zeichnungen von geflüchteten Kindern

Das Kunstgeschichtsprojekt „Rausgehen“ wurde gestartet, um geflüchteten Kindern und Jugendlichen kulturelle Teilhabe, wie wir sie verstehen, zu ermöglichen. Aber auch, damit wir in Deutschland Beheimateten unsere neuen Nachbarn kennenlernen. „Rausgehen“ – steht dafür, sich mit etwas Ungewohntem auseinanderzusetzen – offen zu sein für etwas Neues. Aber auch die wortwörtliche Bedeutung war programmatisch für das Vorhaben: den Geflüchteten eine Einladung auszusprechen, damit sie aus dem Flüchtlingsheim herauskommen.

Von der Notunterkunft in der Ruschestraße zur Villa Skupin sind es nur fünf Minuten Fußweg. Sechs Monate lang sind Kinder und Jugendliche jeden Dienstag gekommen, um an der Kunstgeschichtswerkstatt teilzunehmen. Jede Stunde wurde ein anderes Thema behandelt. Ob es um „Gemalte Gärten“, „Selbstporträts“ oder „Abstrakten Expressionismus“ ging – immer war es interessant zu erfahren, was den Jugendlichen gefiel und was nicht.

Wir saßen in einem Raum mit großen Tischen, auf denen ich Bilder aus der Kunstgeschichte auslegen konnte. Die meisten Kursteilnehmenden hatten in den ersten vier Monaten noch keinen Schulplatz und nur zweimal pro Woche eine Deutschstunde. Deshalb konnten wir uns oft nur mit Einwortsätzen verständigen. „Gut“ und „Nicht gut“ waren Begriffe, die von Anfang an verstanden und gesprochen wurden – und das war das Wichtigste. Nachdem wir uns also dem jeweiligen Thema mit Zeigen und Vergleichen genähert hatten, gingen wir ins Atelier, wo die Jugendlichen ihre eigenen Bilder an Staffeleien gemalt haben.

Am Anfang des Kurses stellte ich fest, dass die meisten Mädchen und Jungen sich in ihren Tuschzeichnungen sehr ornamental ausdrückten. Ich nahm dies zum Anlass, ihnen Ornamente aus verschiedenen Ländern und Zeiten vorzustellen. Begeisterung riefen Blumenmotive aus der Tempelanlage in Palmyra hervor und Wandmalereien aus ägyptischen Pyramiden. Sie wurden interpretierend in eigene Werke aufgenommen. Oftmals wurde ich davon überrascht, was die Jugendlichen der Thematik abgewannen. An einem Nachmittag, an dem wir Selbstporträts durchnahmen, malten fast alle ein Selbstbildnis. Das entsprach genau der gestellten Aufgabe. Zwei Jungen und ein Mädchen aber wählten Selbstbildnisse von Picasso als Vorlage für ihre Arbeiten. Was reizte sie an diesem verzerrten, blauen Gesicht mit Augen, die in der Zeichensprache von Comics Wahnsinn ausdrücken würden? Die jungen Künstler wirkten jedenfalls entspannt und sorglos, als sie ihre Idee ins Werk setzten.

Die regelmäßigen Unterrichtseinheiten wurden durch vier Exkursionen ergänzt. Und obwohl es Übersetzungsprobleme gab, war doch immer etwas Neues zu entdecken. In der Liebermann-Villa zum Beispiel ist in einem der Heckengärten eine Sonnenuhr aufgestellt, deren Funktion auch ohne Deutschkenntnisse nachzuvollziehen ist. Die Atmosphäre eines Ortes wird ja ohnehin ohne Worte wahrgenommen. Ich selbst habe jedenfalls noch deutlich den Sommertag auf der Terrasse der Liebermann-Villa vor mir: den Blaubeerkuchen, die ziehenden Wolken und die Segelbote auf dem Wannsee.

Vernissage 8. Oktober, 16 Uhr, gemeinsam mit den jungen Künstlern, im Studio Bildende Kunst

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