Nur eine Art Selbstausbeutung? Oder mehr?

Dagmar Gleim

Ob die Tätigkeit als Bundesfreiwilliger in einer meist sozialen oder kulturellen Einrichtung für die Beteiligten ein Glücksfall ist, lässt sich naturgemäß für Außenstehende kaum beantworten. Die Vermutung liegt nahe, dass die Meisten diese Frage verneinen würden. Dennoch gaben einige dazu befragte „Bufdis“ an, diese Form von Arbeit sei für sie ein absoluter Gewinn, man habe auf dem ersten Arbeitsmarkt ohnehin keine Chance mehr. Ein Beteiligter sprach sogar von einer Bereicherung. Ist der Bundesfreiwilligendienst besser als sein angenommener Ruf?

Tatsächlich lässt sich mit 200 Euro Taschengeld weder die Rente erhöhen, noch ist es - absolut genommen - ein hoher Betrag. Aber es ist eben doch eine Summe, die man als Arbeitsloser mit Grundsicherung gut gebrauchen kann. Neben dieser materiellen Unterstützung gibt es aber auch die soziale und ideelle Wertschätzung. Man braucht eine soziale Umrahmung, den sichtbaren Beweis, dass man Wichtiges beitragen kann, auch als Freiwilliger: „Es gibt einem Selbstwertgefühl und Bestätigung. Man kann noch was, und das stärkt das Ego.“ Der das sagt ist Richard Rubner, Jahrgang 1960, und er bietet dafür den besten Beweis. Er arbeitet als Bundesfreiwilliger im Medienpoint in der Crellestraße in Berlin-Schöneberg. Diese Gegend rund um die Hauptstraße ist ein Tummelbecken für Stars, Drags, Queers und Unkonventionelle, welcher Art auch immer. Ein Gutteil der schwulen und lesbischen Community ist hier ansässig. David Bowie wohnte in den Neunzigern hier zusammen mit Iggy Pop, nicht weit vom heutigen Medienpoint entfernt.

Richard Rubner ist auch ein Wahlberliner, er kommt aus der Porzellanstadt Selb in Oberfranken. Wenn man genau hinhört, merkt man es am rollenden „R“, ansonsten könnte man ihn auch für einen moderaten Berliner Punk halten, der ein bisschen in die Jahre gekommen ist. Er ist leidenschaftlicher Mitarbeiter des Medienpoints, wenn nicht das Rückgrat des Ladens. Auf die Frage, was einem der Laden alles zu bieten hat, zählt er die „Medien“ auf, die am meisten nachgefragt werden. Es sind die Bücher, vor allem Krimis und Kunstbände. Letztere gingen sofort weg. Daneben werden CDs, Videokassetten und DVDs angeboten. Alles wird kostenfrei abgegeben. Die Spende wird als Spende an den Kunden weitergereicht.

Wie wichtig ihm die Bücher für seine eigentliche Arbeit sind, erzählt er später. Seine Hauptaufgabe ist die Gestaltung des Schaufensters, er ist zuständig für alles Dekorative, die Vorbereitung und Ausführung der Veranstaltungen eingeschlossen. Rubner ist seit 2008 Mitarbeiter dieses Medientreffpunkts, arbeitsbezogen immer unter anderer Flagge und auch immer wieder mit Pausen, da die Weiterführung einer Maßnahme eine Karenzzeit erfordert. Auch ehrenamtlich hat er hier schon gearbeitet, sonst wären wohl die Regale und Tische, auf denen die vielen Bücher in seiner Abwesenheit abgelegt worden waren, längst zusammengebrochen. Er kennt die Kategorisierung und Systematik der einzelnen Sparten aus langjähriger Erfahrung. Schließlich hat er sie mitentworfen. Dank eines sehr guten Allgemeinwissens kann er auch inhaltliche Fragen beantworten. Sein „Steckenpferd“ ist aber das kreative Gestalten. Und da hilft ihm das Wissen, welche Bücher am besten das jeweilige Thema der Schaufensterbestückung beleuchten und reflektieren. Saisonale Fest- und Feiertage, Jahrestage, Jubiläen, gesellschaftliche Umbrüche, sie alle finden ihren bunten, vielgestaltigen Niederhall im Schaufenster, liebevoll ausgestattet von Rubner.

Er ist auf seine Dekorationsvielfalt stolz. Selbstbewusst zeigt er am Computer seine vorangegangenen Schaufensterbestückungen und kramt Fotocollagen hervor, auf denen er meist seinen Kopf auf die dort abgebildete Person gesetzt hat. Das geht soweit, dass er auf einem Foto mit schwarzem Oberlippenbärtchen verdächtig an einen historischen Untäter erinnert. Aber Satire erlaube das, ist seine Meinung dazu.

Was treibt ihn an, was ist die Triebfeder? Das sei sein Hang, künstlerisch tätig zu sein. Auch privat inszeniere er seine Wohnung. „Ich habe immer gerne gebastelt. Das hat sich durch mein Leben gezogen. Ich würd’ mich auch schon als Künstler bezeichnen“, so Rubner selbstbewusst. Das sei nicht nur die Positionierung der Bücher in der Auslage, dazu gehöre eine Planungsphase, um sich was Passendes auszudenken. Er hat im Lette-Verein Fotodesign studiert. In seiner Freizeit nimmt er rege am kulturellen Leben teil.

Der Dienst am Gemeinwohl ist die Reaktion auf die Aussetzung des Wehrdienstes. Am Beispiel Rubner kann anschaulich gemacht werden, wie wichtig die temporären Kräfte sind, um den Laden am Leben zu halten. Nicht nur den Medienpoint. „Alle Kultureinrichtungen, zumindest die kleinen, leben von Selbstausbeutung“, das sei im Schwulen Museum, in dem er auch gearbeitet hat, genauso, führt er an. Die „Unehrenamtler“ könnten zuschließen. Gerade jetzt mit der Flüchtlingswelle gäbe es ohne die leidenschaftlichen Ehrenamtler ein Chaos, betont er fast schon böse. Obwohl er sich gar nicht als sozialen Aktivisten betrachtet, ist er doch ein sehr engagierter Mensch, vor allem in seiner „Family.“ Nach dem Gespräch macht er eine Führung durch den Laden. In einem Kiez mit vielen homosexuellen Bewohnern ist an diesem Tag die Gestaltung der Auslage darauf ausgerichtet. Nicht nur mit passender Literatur, auch mit Ken und Barbie als Repräsentanten der Betroffenen.

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