Wer die Wahl hat,

Ingo Knechtel

hat die Qual – das bekannte Sprichwort scheint sich zu bewahrheiten, je näher für uns Berliner der Wahltermin im September rückt. Jede freie Stelle an den Straßenrändern „ziert“ ein Sammelsurium an übergroßen und unübersichtlich kleinen, mit Köpfen und vermeintlichen Botschaften bestückten Plakaten. Kandidaten scheinen plötzlich unheimlich viel Zeit zu haben, um an Bahnhöfen, vor Kaufhallen, bei Sommerfesten und sonst wo mir ein Gespräch aufzudrängen. Fernsehen, Rundfunk, soziale Medien, nicht mal der eigene Briefkasten sind vor ihren Entäußerungen sicher. Sie wollen, dass ich mir eine Meinung bilde! Oder wollen sie meine Meinung beeinflussen? Im besten Fall wollen sie mich davon überzeugen, wie gut sie und ihre Partei (für mich und für uns) sind. Doch so einfach kriegen sie mich nicht! Jedes Mal frage ich mich, ob sie das nicht wissen müssten, wenn sie doch so klug sind. Unwillkürlich denke ich an Rio Reisers „Keine Macht für niemand“. Aber irgendjemand muss die Dinge doch regeln, muss Ziele formulieren und die Stadt voranbringen. Verwaltung durch eine Beamtenschar kann keine Alternative sein. Doch wie gut sind unsere Politiker? Laut lachen muss ich, wenn mir Noch-Regierende, auf ihre Wiederwahl hoffend, entgegen halten: „In Berlin haben wir in den letzten Jahren ganz viel erreicht!“ Wow?! Da fällt mir gleich ganz viel ein: BER, Staatsoper Unter den Linden, Bürgerämter im Chaos, Lageso, Mietwucher, S-Bahn-Notstand, fehlende Radwege usw. Jammern indes hilft nichts, das sollten wir wissen. Anpacken, verändern, mehr direkte Demokratie, denen da oben zeigen, was Bürgerwillen zustande bringt. Also begeben wir uns auf den Weg. Der führt zur Wahlurne, der führt aber auch zu konkreten Aktionen, zu direkter Demokratie, zu Volksentscheiden. Messen wir Wahlbewerber an ihren Plänen, aber vergessen wir nicht, was sie und die Parteien, für die sie stehen, in den letzten Jahren getan haben! Alle, die Verantwortung für die Stadt und ihre Bezirke übernehmen wollen, verdienen unseren Respekt. Aber die besten in diesem Wettbewerb zu finden, ist nicht immer einfach, oft müssen wir hinter schönen Worten die wahren Absichten und Ziele herausfinden. Das quält schon manchmal, doch eine andere Wahl gibt es nicht. Und das ist auch gut so!

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