Die Macht der Gewohnheit

I.K.

Ist sie Allmacht oder Ohnmacht? Oder ist sie keins von beiden, hilft uns aber mit ihrer ausgefeilten Sicherheit, umschreibt eine feste Bank, eine Konstante, vielleicht auch ein Refugium?

Wohl jeder von uns sah sich diesen Fragen schon einmal gegenüber. Sie fordern uns heraus, nahezu jeden Tag. Machen wir so weiter wie bisher, auf gewohnte Weise, altbewährt? Der konservative Ansatz hat Vorteile, die Beteiligten wissen, was sie haben, was sie können, was auf sie zukommt. Doch produziert er nicht auch Langeweile, Stillstand und Stagnation? Und kommt er nicht häufig einher mit Bürokratie, ja mit immer mehr Bürokratie?

Es geht doch auch anders, zeigt ein Blick auf die jüngste Geschichte. „Es ist als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stag-nation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengedresch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit,“ rief der Schriftsteller Stefan Heym am 4. November 1989 einer halben Million Demonstrierenden auf dem Berliner Alexanderplatz entgegen. Die Leute hatten genug von der gewöhnlichen DDR.

Auch das Deutschland von heute durchlebt gerade eine Zeit, die das Gewohnte durcheinander zu würfeln scheint. Da stehen das Leid und die Gequälten ferner Kriege vor Europas Tür und begehren Einlass, auch und gerade in ein Deutschland, in dem in den letzten Jahren die Armen ärmer und die Reichen immer reicher geworden sind. Solidarität und Barmherzigkeit gehören nicht bei allen zum Alltag, mit Routine sind nicht alle Probleme zu meistern.

Wir spüren bei all dem: Ein Leben in gewohnten Bahnen geht auf Dauer nicht gut! Denn wie soll das auch gehen, sind diese Bahnen doch für viele nicht zufriedenstellend? Sie konfrontieren uns mit Problemen, großen und kleinen. Sie fordern uns heraus, regen uns auf und auch an. Sie sind eine wahre Achterbahnfahrt.

Wir laden Sie ein zu solch einer Fahrt. Wir stellen der Macht der Gewohnheit eine andere Macht an die Seite, eine Macht der Veränderung. Stehen die beiden sich gegenüber wie Feuer und Wasser? Oder lassen sie sich harmonisieren? Kommen wir im Widerstreit zu einer neuen Qualität des Zusammenlebens?

Der Kulturring in Berlin e.V. widmet sich diesem Thema im Rahmen seines Kunstkreuzes im Oktober dieses Jahres. Mit Ausstellungen und Veranstaltungen wollen wir debattieren, wie das Ändern der Welt uns alle herausfordert. Künstler laden wir ein, einem breiten Publikum zu zeigen, wie und warum ihr Werk von Brüchen und von Wandlungen charakterisiert ist. Wir wollen, dass Literaten davon erzählen, wie das Leben ihre Bücher prägt und welche Debatten sie sich erhoffen. Ja, wir möchten einladen genau zu solchen konkreten Debatten zu einer Zeit in diesem Land, die geprägt ist vom Einfluss globaler Veränderungen. Wohin führt uns der Widerstreit zwischen der Neugier auf Neues, Unbekanntes, auf fremde Kulturen und der Scheu davor oder der Angst vor dem Verlust eines sicher geglaubten Wohlstands? Dabei liegt es auf der Hand, die Erfahrungen der verschiedenen Generationen zu hinterfragen. Und ganz sicher leben uns viele Kinder und Jugendliche vor, wie einfach und unkompliziert in ihren Augen ein alltägliches, glückliches Zusammenleben funktionieren kann. Gerade dies sollte uns auch in diesem Themenmonat zu gemeinsamen Aktionen anregen.

Setzen wir ein Signal, das über den Monat hinausreicht, und das lautet:

Aus Gewohnheit anders! Besser!

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