Lass’ die Puppen tanzen

Dagmar Gleim

Das Figurentheater Grashüpfer ist eine von etwa zehn kleinen, intimen Spielstätten für Puppentheater in Berlin. Es liegt, ein klein wenig verwunschen und von der Straße nicht einsehbar, hinter viel Gehölz und Laub, mitten im Treptower Park. Im Jahre 1997 sind hier zum ersten Mal die Pforten dieses Hauses geöffnet worden. Zahlreiche Besucher fanden und finden den Weg in das Theater. Dicht am Wasser gelegen und nach der Aufführung zu einem Spaziergang lockend, kann es ohne kommunale Hilfe allerdings nicht alleine freischwimmen.

Die Leiterin des Theaters, Sigrid Schubert, spricht vom Durchkämpfen beim Bezirk, um die Förderung für die Anstellung eines Mitarbeiters zu bekommen. Das ist ihr zugegebenermaßen tatsächlich öfters gelungen. Gleichwohl drängt sich das Bild des Ringens und Fechtens auf, ein steter Kampf für den Erhalt nicht nur des Theaters, sondern auch der Mitarbeiter.

Diese stehen meist nur zeitlich begrenzt zur Verfügung, da sie mit Hilfe von Arbeitsfördermaßnahmen des JobCenters dieser Tätigkeit nachgehen können. Heutzutage ist es häufig auch der Bundesfreiwilligendienst (BFD), der Arbeitslosen, aber auch Ruheständlern zu einer sinnvollen und gemeinnützigen Beschäftigung verhelfen soll. Dort können sich Frauen und Männer für den sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich engagieren und bekommen als „Bufdis“ dafür ein Taschengeld. Dieser Dienst am Allgemeinwohl entstand als Reaktion auf die Aussetzung des Wehrdienstes, womit auch parallel der Zivildienst wegfiel.

Am Beispiel von Marlies Flach, Mitarbeiterin des „Grashüpfers“ und heute als Bufdi tätig, wird anschaulich, wie wichtig diese temporären und (leider nur) mäßig bezahlten Kräfte für das Überleben sein können. Das Theater Grashüpfer ist Mitglied im Kulturring in Berlin e.V.; schon über Jahre besteht zwischen beiden eine sehr enge Kooperation. Der Kulturring half dem Theater in der Vergangenheit personell durch Initiierung von Maßnahmen, damit das Theater sein anspruchsvolles Programm realisieren konnte. Und auch im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes ist wiederum der Kulturring ein Partner. Flach ist bereits im Ruhestand und arbeitet, um die Rente aufzubessern und nicht nur in der Wohnung zu sitzen. Wichtig für sie ist ihr aber die Tätigkeit als solche, die macht ihr Spaß. Ihre Berufsbiographie begann sie als Bürokraft und, wie sie sagt, vor ganz langer Zeit und noch in der DDR. Danach habe sie nie mehr eine richtig feste Stellung bekommen. Sie glaubt, dass das auf das Alter zurückzuführen ist. Man schlängelte sich damals durch viele Beschäftigungsmaßnahmen und hat alles mitgenommen, was man so angeboten bekam. Mit der Zeitenwende sind viele Sicherheiten erodiert.

Flach ist die Ruhe in Person. Sie berichtet sehr gelassen über ihre vergangenen Tätigkeiten. Wird der ehemaligen Bürokraft im Theater kreatives Tun und Handeln abverlangt? Das könnte sich ja gegenseitig ausschließen. Flach lacht, das sei überhaupt kein Problem. Sie arbeitet nämlich auch im Theater als Bürokraft. Aber nicht nur: „Da ich ziemlich schnell begreife und lerne, habe ich doch immer alles schnell drin gehabt.“ Es folgt prompt die Bestätigung von Schubert aus dem Hintergrund, die Flach nicht missen möchte. „Angefangen habe ich hier mal vor Jahren als MAE-Kraft, als 1-Euro-Jobber, wie das damals 2012 hieß.“ Von da an hatte sie wiederholt eine MAE-Stelle gehabt, solange das möglich war. Anschließend bewarb sie sich als „Bufdi“. Ein weiteres halbes Jahr hat sie noch vor sich. Versteht sie sich mittlerweile als „Oberunterstützerin“ der Einrichtung? Natürlich nicht! Eine leitende Funktion darf sie als „Bufdi“ ohnehin nicht haben. Dennoch wird ihr immer bestätigt, dass man sie dringend braucht: „Weil ich an viele Sachen denke, was bei den anderen nicht mehr so da ist. Als ich hier angefangen habe, musste ich mich natürlich auch erst einmal in die Arbeit hineinfinden, da ich so etwas noch nie gemacht hatte. Und im Laufe der Zeit, oder seitdem ich das mache, läuft es einfach super. Toll!“. Auf die Bühne möchte sie nicht. Das sei nicht ihr „Ding“.

Auf die Frage aber, ob sie denn weitermachen wolle, als ehrenamtliche Kraft, wenn die Bufdi-Stelle ausläuft, ist die Antwort vorhersehbar: Natürlich möchte sie das. Sie wird die Märchenabende begleiten, da nicht genügend Leute zur Verfügung stehen, die die Vorstellungen betreuen können, denn die beginnen erst um 18 Uhr. Sigrid Schubert kann sich auch nicht vorstellen, wie es ohne Marlies, wie sie sie nennt, weitergeht. „Wir überlegen, wie wir das händeln können, aber ein weiteres halbes Jahr gibt es ja leider nicht.“ Dabei erfährt man ganz nebenbei, dass auch die Mutter und Gründerin des Theaters als ehrenamtliche Leiterin arbeitet. Und das schon seit 15 Jahren. „Mit all den Wendungen, die es nach der Wende gab (…), ist mein Leben ausgerichtet auf das Puppentheater (…) und man möchte dabeibleiben, solange man gesund ist,“ so Sigrid Schubert. Es sei ja auch ihr Kind. Immer hat sie sich für die Mitarbeiter eingesetzt; sie hat sich mit den Ämtern auseinandergesetzt, Schreiben aufgesetzt, einen Stadtrat überzeugen können und so Ausnahmebedingungen aushandeln können. Mangelnden Einsatz kann ihr keiner vorwerfen, dass sie kämpfen kann, hat sie mehrfach bewiesen.

Zum Ausklang hier noch eine nette kleine Anekdote: Der Name des Theaters „Grashüpfer“ beruht nicht auf dem Balzgesang dieser Spezies, der mit Schwirren und Schmettern sowie Verse-Singen beschrieben wird. Schubert: „Wir waren damals grün gekleidet, und brachten uns auch grüne Laken für den Hintergrund mit. Und so gekleidet sind wir einmal zu irgendeiner Kindereinrichtung gegangen und haben uns mit unseren Koffern über die Wiese geschleppt mit unseren Klamotten, und da sagte ein Kind: ‚Da kommen die Grashüpfer’“. Sie fanden das einen schönen Namen und haben ihn dem Theater vorgesetzt. „Es gibt ein Kinderbuch, in dem der Grashüpfer das ganze Jahr für die anderen Tiere fiedelt. Und so passt es ja auch ein bisschen zum Theater.“ Das sagt Sigrid Schubert, die viel davon versteht.

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