Kein Leben ist unwichtig

Stefan Körbel

Das Buonarroti-Archiv erstellt und sammelt autobiografische Zeugnisse, vorwiegend in Form von Video-Interviews. Viele Biografien von Zeitzeugen der letzten, historisch unvergleichlichen Jahrzehnte, besonders deren sichtbare Selbstauskünfte, drohen verloren zu gehen, wenn sie nicht jetzt dokumentiert werden. Diese Sammlung ist zunächst keinem direkten Zweck verpflichtet, schon gar nicht der kommerziellen Verwertung. Jedoch versucht sie, die bisher meist gängige Praxis der oral history dahingehend zu erweitern, dass sie Personen nicht nur zu Wort kommen lässt, sondern genauer befragt (gemäß dem bekannten Brecht-Gedicht: das Wissen muss dem Wissenden auch abverlangt werden...). Dass dies Sinn macht und notwendig ist, bedarf eigentlich keiner längeren Erklärung. Deutsche Biografien konnten höchst unterschiedlich sein, harte Brüche prägten die meisten, oft genug ging es ums blanke Überleben. Die Determinanten dieser Lebensläufe hießen nicht nur Familie und soziales Milieu, Region und Religion, sondern auch Reichskanzlei und Politbüro, Potsdamer Abkommen und Treuhandanstalt. Viele kamen bereits zu Wort, viele aber eben auch nicht - und die Zeit drängt immer. Die Medien wählen aus, was Quote bringt; wer kein im oberflächlichen Sinne spektakuläres Schicksal vorzuweisen hat, findet dort nicht statt. Mensch kann, wenn er kann, ein vielleicht von seinen Enkeln initiiertes Buch erstellen – aber wie er spricht und denkt, wie er guckt und gestikuliert, erscheint darin nicht. So befragen wir also Menschen unterschiedlichster Herkunft, Biografie, beruflichem Werdegang und weltanschaulicher Orientierung. Das Projekt wird durch den Verein für zeitgeschichtlich-biografische Dokumentation e.V. getragen und finanziert sich ausschließlich durch Spenden – und vor allem durch das Engagement seiner Mitglieder. Auch eine eigene Veranstaltungsreihe haben wir organisiert: „Meine Biografie in dieser Zeit“. Die wurde möglich durch eine Kooperation mit dem Humanistschen Verband Berlin-Brandenburg. Zu den Gästen zählten die Schauspielerinnen Annekathrin Bürger und Carmen Maja Antoni, die Sängerinnen Ruth Hohmann und Uschi Brüning, der deutsch-jüdisch-australischen Schriftsteller Walter Kaufmann, der Kosmonaut Sigmund Jähn, der Chef der DDR-Denkmalpflege Prof. Ludwig Deiters, die Kommune-Aktivistin Herma Ebinger.Die erstellten Video-Interviews werden auf der im Aufbau befindlichen Website dargestellt. Für journalistische, wissenschaftliche und pädagogische Zwecke können diese dann, mit Einverständnis der Akteure, genutzt werden.

Warum nun dieser Namensgeber? Buonarroti? Zu kurz ist hier der Platz, das Leben des Politikers, Publizisten, Revolutionärs Filippo Buonarroti (1761-1837) zu skizzieren. Jeder kann im Internet nachlesen. Wichtig ist: Nach seinen politisch aktiven Jahren und nachdem er knapp dem Tode entronnen war, der seine engsten Gefährten traf, überlebte er im Genfer Exil – als Geigenlehrer. Und als der Zeitgeist sich schließlich drehte, war er der letzte Zeuge, der erzählen konnte...

Der Verein für Zeitgeschichtlich-biografische Dokumentation e.V. ist anerkannte Einsatzstelle im Bundesfreiwilligendienst und kooperiert erfolgreich mit dem Kulturring. Er ist dankbar für Hinweise auf Gesprächspartner und freut sich über jede Mitarbeit (buonarroti-archiv@web.de).

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