Erinnerungen im Hunsrück

Andreas Pretzel

Die Ausstellung der AG Rosa Winkel des Kulturrings „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit“ wurde bereits in vielen Großstädten der Bundesrepublik gezeigt. Mit ihrer Präsentation im pfälzischen Idar-Oberstein konnte sie nun erstmals in einer kleineren Stadt mitten im Hunsrück besichtigt werden. Die Initiative dazu ging vom Verein Schalom, der sich für die deutsch-israelische Aussöhnung einsetzt, und dem Stadtjugendamt aus. Anlass war der Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus. Die Göttenbach-Aula am Rathaus bot dazu einen würdigen öffentlichen Raum.

Zur Eröffnung am 27. Januar mahnte Bürgermeister Friedrich Marx, die errungenen Grundwerte in der Bundesrepublik zu verteidigen. Schalom-Vorsitzender Axel Redmer vergegenwärtigte, wie lange es gedauert hatte, bis auch Homosexuellen die vom Grundgesetz versprochenen Rechte zugestanden wurden. Nach 1945 gehörten Homosexuelle noch jahrzehntelang zu einer verachteten, ausgegrenzten und verfolgten Minderheit. Am Tag der Gedenkveranstaltung hatte Redmer außerdem in einem Beitrag, der in der Lokalzeitung erschien, an den engagierten homosexuellen Schriftsteller John-Henry Mackay (1864-1933) erinnert, der als Gymnasiast die Schule in Birkenfeld, unweit von Idar-Oberstein, besucht hatte. Mackay zog wenige Jahre später nach Berlin, wo er sich der Homosexuellenbewegung anschloss und die Petition zur Abschaffung des § 175 namentlich unterzeichnete.

An diese Petition, die von Magnus Hirschfeld und dem wissenschaftlich-humanitären Komitee nach der Jahrhundertwende an den Reichstag gerichtet wurde, erinnerte auch Andreas Pretzel, der im Namen des Kulturrings einen Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung und zur Gedenkveranstaltung hielt. Er überraschte die zahlreich Anwesenden mit dem Namen eines weiteren Bürgers der Region, der die Petition 1903 unterzeichnet hatte und würdigte dessen außerordentlichen Mut. Es war Eduard Teubner, Bürgermeister in Oberstein von 1902 bis 1912.Pretzel thematisierte in seiner Rede die Schwierigkeiten des Erinnerns an die Opfer der Homosexuellenverfolgung. In offiziellen Reden von Politikern und den Büchern von Historikern wurden sie bis Anfang der 1990er Jahre peinlichst verschwiegen. Die Verfolgten selbst waren bereits in den 1960er Jahren zum Schweigen gebracht worden. Als NS-Opfer wollte man sie nach Ende der NS-Zeit nicht anerkennen. Eine Rehabilitierung und Wiederherstellung ihrer verletzten Ehre, eine Wiedergutmachung für das, was ihnen während der NS-Zeit angetan worden war, war für diese Verfolgtengruppe nicht vorgesehen, weder im Westen noch im Osten; jegliche Form von Entschädigung wurde ihnen verweigert. Was die Erinnerung so bitter macht und zum jahrzehntelangen Schweigen bis die 1990er Jahre beigetragen hat, war nicht zuletzt auch die Scham darüber, wie mit ihnen auch nach 1945 umgegangen wurde. Bis 1969 wurden Homosexuelle in der Bundesrepublik nach dem aus der NS-Zeit unverändert übernommenen, verschärften Strafrecht verfolgt und verurteilt. Systematisch wurden ihnen bürgerliche Freiheitsrechte verwehrt, im Namen von Religion und Staat, in einer Demokratie und einem Rechtsstaat. Die höchsten Gerichte der Bundesrepublik haben die Verfolgung der gesellschaftlichen Minderheit in den 1950er Jahren legitimiert. Das lastete schwer und wirkte im gesellschaftlichen Bewusstsein noch lange fort. Erst 1994 verschwand das Sonderstrafrecht gegen Homosexuelle aus dem bundesdeutschen Gesetzbuch. Im DDR-Gesetzbuch geschah dies bereits 1988.

Eine Auseinandersetzung mit der NS-Verfolgung Homosexueller wurde jahrzehntelang umgangen, eine Aufarbeitung der Verfolgung und erste Schritte zur Vergangenheitsbewältigung begannen erst in den 1980er Jahren. Die Geschichte der Verfolgung und Geschichten der Verfolgten mussten mühsam recherchiert werden. Einen Beitrag dazu liefert seit 1997 die Arbeit der AG Rosa Winkel beim Kulturring. Die im Verlauf der Jahre erweiterte Ausstellung zur nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung wurde beispielsweise 2004 im Berliner Landgericht gezeigt, an historischem Ort, nämlich am Ort der Täter, und eröffnet im Beisein führender Repräsentanten der Berliner Justiz. Im Jahr 2006 war sie in der Berliner Akademie der Künste zu sehen. Anlass war die Präsentation der Entwürfe für ein nationales Mahnmal zur Homosexuellenverfolgung, zu der sie den historischen Hintergrund lieferte. Im Jahr 2008 wurde sie schließlich im Deutschen Bundestag gezeigt. Die Ausstellung hat also auch selbst Geschichte geschrieben und den Prozess einer nachgeholten politischen Vergangenheitsbewältigung begleitet. Was sie besonders auszeichnet, ist ihr Fokus auf die Schicksale der Verfolgten. Vergegenwärtigt werden ihre unterschiedlichen Lebenswege und Verfolgungsschicksale. Die Verfolgten erhalten einen Namen und ein Gesicht wieder.

Einen bemerkenswerten Redebeitrag lieferte auf der Gedenkveranstaltung in Idar-Oberstein auch der stellvertretende Superintendent des Kirchenkreises Obere Nahe, Johannes Hülsen, der das Schicksal eines Mannes in Kirchenbüchern aufspürte, der durch die Verfolgung während der NS-Zeit in den Suizid getrieben worden war - und zugleich deutlich machte, wie schwierig ein Erinnern ist: Jegliche Erinnerung an ihn war im Familiengedächtnis getilgt worden, keinerlei Foto mehr vorhanden...

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