Roland R. Berger und „Das wirkliche Blau“ der Anna Seghers

Lutz Wunder

Obwohl ich als Kind schon eine Leseratte war, hat auch mich das Angebot der „Schul-Pflichtlektüre“ manchmal zur Leseverweigerung geführt. In diesem Pflichtangebot stand u.a. „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers. Ich habe es gelesen, fand es nicht so langweilig wie erwartet – und habe aber seit dem nie wieder zu Büchern von Anna Seghers gegriffen. So war es bis vor kurzem.

Die Neugierde, doch ein Buch der Autorin zur Hand zu nehmen, wurde bei mir durch die Christa-Wolf-Biografie von Jörg Magenau geweckt, die ich übrigens in einem Medienpoint unseres Vereins fand. In ihr wurde von der langjährigen Wertschätzung berichtet, die Christa Wolf für Anna Seghers immer empfand.

Nun gab es in diesem Sommer in Hellersdorf ein Jubiläum. Der langjährige Kooperationspartner des Kulturrings, der Verein zur Förderung der Peter-Weiss-Bibliothek e.V., feierte sein 25jähriges Gründungsjubiläum. Ein Bestandteil der Jubiläumsfeierlichkeiten war die Idee eines Ausstellungsprojekts mit dem Graphiker und Zeichner, Publizisten und Kunstpädagogen Roland R. Berger. Warum gerade er für dieses Projekt ausgewählt wurde, geht aus den Ausführungen des Künstlers hervor. Er schreibt 2015 zu seinen künstlerischen Anregungen: „Literatur und bildende Kunst sind für mich gewissermaßen Geschwisterkinder, die, wenn sie sich an die Hand nehmen, sich gut verstehen und geistige Bande knüpfen. Das kann im Sinne der Illustration geschehen, aber auch durch selbstständige Begleitung, wie ein bildhaftes Fenster, ein Panorama oder gestaltetes und verdichtetes Sinnzeichen, das sich dem Text widmet und diesem einen deutbaren Rahmen gibt. Die Werke von Anna Seghers, der Autorin von Weltrang, stehen mir bei meinen Bemühungen besonders nahe, weil sich in ihren Geschichten das Menschliche wundersam mit Utopien und Märchen mischt.“ Darum hat er sich viele Jahre mit dem Werk von Anna Seghers beschäftigt, und es bietet ihm bis heute viele gedankliche Anregungen, die er graphisch umsetzt.So hat es ihm die Geschichte des mexikanischen Töpfers Benito, dessen Verkaufserfolge auf einem gefundenen, besonderem, dem „wirklichen Blau“ beruhen, besonders angetan. Dokumentiert wird seine Anregung durch das Blatt „Das wirkliche Blau – Benito der Töpfer“ von 1993. Diese Geschichte gehört zum Alterswerk der Autorin (1900-1983, mit bürgerlichen Namen Nelly Radvanyi). Anna Seghers hat sie 1967, rückblickend auf ihre Zeit im mexikanischen Exil während des zweiten Weltkriegs, geschrieben. Benito handelte auf einem Markt in Mexiko mit seinen Töpferwaren. Seinen Kunden hatte es besonders die tiefblaue Farbe seiner Keramik angetan. Doch durch die Kriegsereignisse kann Benito die Farbe nicht mehr erhalten, und er bekommt seine Waren nicht mehr verkauft. So reist er umher und sucht nach dem Material für die Herstellung dieser Farbe, begegnet vielen Helfern, lernt die Solidarität der einfachen Menschen kennen, findet Freunde, erwirbt Zielstrebigkeit und Geduld, wird letztlich fündig, lernt das Blau selbst herzustellen und findet zu seinem Lebensrahmen zurück. Vielleicht steht in der Geschichte die Farbe Blau für Wahrheit, Kraft und Willenstärke.

Roland R. Berger, der auch Graphiken und Zeichnungen zu Texten anderer Künstler anfertigte, genannt seien hier nur Borchert und Bräuning, fand in der geschilderten Geschichte so etwas wie seine Lebensgrundlage. Er schrieb 2013: „Seit dem Beginn des letzten Jahrzehnts im vorherigen Jahrhundert fühle ich mich als in das große Deutschland Katapultierter und vermisse die bescheiden-vernünftigen Nischen ebenso wie die erträumten Utopien. Zukunft wird von der Macht des Geldes bestimmt, das Wertgefüge gerät für immer mehr Menschen zum Fluch des Daseins. Kunst, die Zeichen setzt, signalisiert Zustände und drängt nach Aufklärung. So entstehen bisweilen meine ‚Deutschen Blätter‘.“ Hier verwirklicht sich so die Ansicht von Peter Hille: „Arbeiten ist bei sich selbst sein.“

Roland R. Berger, 1942 in Weinböhla bei Dresden geboren, legte 1966 sein Staatsexamen als Kunsterzieher ab und war bis 1995 im Institut für Kunsterziehung der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. 1972 erhielt Berger sein Diplom als Graphiker an der KHS Berlin-Weißensee, promovierte 1978 und wurde 1985 zum Professor mit künstlerischer Lehrtätigkeit berufen. Seit 1995 war er dann als Lehrer an einer Gesamtschule und Dozent in der Lehrerfort- und Weiterbildung tätig. Seit 1993 gibt er die EDITION LINKSRUM heraus und ist seit 2007 Rentner. Er arbeitet und lebt in Hohen Neuendorf bei Berlin. Das Kulturforum zeigt nun im Rahmen einer Ausstellung bis zum 29.12.2015 eine Auswahl der Arbeiten von Roland R. Berger.

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