Schockiert

Ingo Knechtel

war ich mal wieder, als ich einen Artikel für dieses Heft vorbereitete und dabei über den Ausdruck „Reichsausschusskinder“ stolperte. Ja, Sie haben richtig gelesen! In der Nervenklinik Wiesengrund am Eichborndamm 238 in Reinickendorf hatten die Nazis gnadenlos 175 Kinder als „Ausschuss“ zum Experimentieren freigegeben. „Unwertes Leben“ sollte im Zuge der „Rassenhygiene“ beseitigt werden. Besonders im Monat November gehen meine Gedanken zurück in die Jahre der „braunen“ Machthaber. Ist es doch der Monat, in dem ein wütender Mob vom 9. auf den 10. im Jahre 1938 jüdische Geschäfte plünderte und Synagogen in Brand steckte. Und dann sehe ich die „Wutbürger“ von heute, wie sie montags in Dresden „spazieren gehen“. Ich höre verbale Brandstifter und weiß, in diesem Land wird nicht nur verbal gezündelt. Wieviel wert ist das Leben eines Menschen? Wieviel wert sind uns seine Rechte? Fühlen wir uns gestört in unserer gut geordneten, heilen Welt, wenn plötzlich Opfer von Kriegen in weiter Ferne direkt an unsere Tür klopfen? Die hausgemachten Sozialfälle sind bei weitem nicht bewältigt, und jetzt noch die fremden Hilfebedürftigen. Und doch, die Freiheitsglocke läutet für alle Menschen, und die eindringlichen Worte des Gelöbnisses mahnen: „Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen.“ Diese Worte mit Leben erfüllen, das leisten zur Zeit an jedem Tag Tausende Freiwillige, die sich um jeden Menschen kümmern, egal ob Flüchtling, Obdachloser, Kranker oder einfach Mitbürger. Und nicht nur sie tun das. Aber als Kulturmenschen ist es besonders auch unsere Pflicht und unser Anliegen, für ein kulturvolles Miteinander zu werben. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich dafür zu engagieren. Viele Vereine, zu denen auch der Kulturring zählt, laden dazu ein. Im Miteinander lernen wir uns besser kennen. Öffnen wir unsere Türen ganz bewusst noch ein Stück weiter für alle, die sich davon überzeugen wollen!

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