Träumen Physiker von kybernetischen Schmetterlingen?

Thomas Franke

Seit einigen Jahren brandet nicht nur über Deutschland in medialen Wellen immer wieder die Diskussion hinweg, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unser Leben haben wird und welche positiven sowie – ­allerdings noch konträrer diskutiert – welche negativen Wirkungen sie für die Menschen mit sich bringt: Überwachung und Manipulation der Menschen entziehen sich der Kontrolle, Menschen werden anhand von Algorithmen bewertet und damit zum abstrakten Objekt, das Leben zunehmend entindividualisiert und die Menschen damit pauschaliert.

Solchen Themen wenden sich Schrift­steller und Schriftstellerinnen während der letzten Jahre immer öfter zu, aber bereits 1960 – ­viele Jahre vor der Digitalisierung vieler Lebensbereiche unserer Welt – schrieb der österreichische Schriftsteller Herbert W. Franke über virtuelle Welten, Vorgänge und Personen, die gesichtslos bleiben und wie Avatare aus Computerspielen nur über vage Charaktere verfügen. Jedoch ordneten arrogante Literaturkritiker Bücher und Literatur, die über solche Themenkreise verfasst wurden, unter Science Fiction ein. Und Science Fiction tat man allgemein als Trivialliteratur wohl vor allem deswegen ab, weil den über Literatur schwadronierenden Schöngeistern ein gewisser Weitblick gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen betreffend fehlte.
Aber nun befinden wir uns mitten in der Realität dieses zentralen, in beinahe allen Science-Fiction-Werken Herbert W. Frankes wiederkehrenden Themas der Manipulation des Menschen durch Drogen, mittels Techniken psychologischer Beeinflussung oder mit dem Einsatz wissenschaftlich-technischer Möglichkeiten, wie sie die Computertechnik schafft. Weswegen aus alldem die philosophische Frage nach dem Wesen der Realität folgt, die sich in der gegenwärtigen Zeit dringlicher denn je stellt.

Franke weiß, worüber er schreibt, denn schon im Jahr 1950 promovierte er zum Doktor der theoretischen Physik. Am 14. Mai dieses Jahres nun beging er seinen zweiundneunzigsten Geburtstag, der zumindest im Westen Deutschlands prominenteste und am meisten geehrte Schriftsteller deutschsprachiger Science Fiction, Computergrafik-Experimentator, Erforscher vieler von Menschen ungesehener Tiefen, in denen sich uns unbekannte Welten verbergen: von Höhlen, die Eingeweide der Erde.

Um diesen Großmeister des literarischen Genres, der 1980 zum Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland gewählt wurde, gebührend zu ehren, begannen Dr. Hans Esselborn und Ulrich Blode im Jahr 2014 mit der Edition einer vorerst auf dreißig Bände im Verlag p.machinery angelegten, über mehrere Jahre erscheinenden wohlfeilen Gesamtausgabe des Science-Fiction-Werkes dieses erstaunlich vielseitigen und fleißig nicht nur Science-Fiction schreibenden, überhaupt vor Kreativität sprudelnden Wissenschaftlers Herbert W. Franke.

Bitte vormerken: Thomas Franke kommt in den Kulturbund Treptow. Am 8. und 10. Oktober, 19 Uhr, lädt der SF-Club Andymon alle Interes­senten zu einem Themenabend, einer Lesung und Präsentation, mit Thomas Franke ein. Und um es gleich eingangs vorweg mitzuteilen: ­Herbert W. Franke und ­Thomas ­Franke sind nicht miteinander verwandt, aber seit dem Jahr 1976 befreundet. Mit Frank Schätzings Bestseller-Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“ hat der Abend ebenfalls nichts zu tun. Der öster­reichische Physiker, Psychologe, Höhlen- und Zukunftsforscher Herbert W. ­Franke (*1927 in Wien) gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Science-Fiction-Schriftsteller. Seine Erzählungen und Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. ­Lange vor der Digitalisierung unserer Welt und vor den Diskussionen um künstliche Intelligenz beschäftigte er sich mit der Situation von Individuen in einer zunehmend technisierten, digitalisierten, totalitären Zukunfts-Zivilisation. Von 1973 bis 1997 lehrte er zudem Kybernetische Ästhetik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2014 erscheint eine dreißigbändige aktualisierte Werkausgabe des SF-Großmeisters, gestaltet mit Titelmotiven, großformatigen Grafiken, alten und neuen Illustrationen des mehrfach ausgezeichneten Bonner Grafikers Thomas Franke (*1954 in Köthen/Sachsen-Anhalt), der bekanntlich auch Schauspieler ist. Er liest aus den Büchern seines Namensvetters, präsentiert einige der zur Buchreihe geschaffenen Original-Holzstichcollagen und erzählt nebenbei Anekdoten darüber, wie sich zwei eigenwillige Lebens­läufe kreuzten.

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