Freiwilligendienst und Bildung: Auf jüdischer Spurensuche in Potsdam

Antje Mann

Wer sich für den Bundesfreiwilligendienst Kultur und Bildung interessiert und ein wenig informiert ist, weiß, dass es sich dabei nicht nur um ein zeitweiliges, freiwilliges Engagement in einer kulturellen oder Bildungseinrichtung handelt, sondern auch um ein Bildungs- und Orientierungsangebot. Das heißt, es wird praktisches Engagement von Freiwilligen in einer Einsatzstelle mit begleitender Bildungsarbeit kombiniert. Was sich hier so theoretisch liest, macht in der täglichen Praxis viel Sinn. Der Kulturring bietet seinen Freiwilligen monatlich mindestens einen Bildungstag an. Das Programmangebot wird auch durch Ideen und Vorschläge von Freiwilligen gespeist und ist so bunt wie die Kultur- und Bildungslandschaft in Berlin und Brandenburg.

Nur einige Beispiele sollen dies belegen: Da ging es im Februar dieses Jahres in die Erinnerungsstätte des Notaufnahmelagers in Berlin-Marienfelde, eine Exkursion führte über Lichtenbergs verschwundene Friedhöfe, es folgte ein Lichtbildervortrag zu einer abenteuerlichen Atlantiküberquerung in einem Segelboot. Eine gemeinsame Wanderung durch die schöne Natur am nördlichen Rand Berlins führte von Lübars nach Blankenfelde, dem sich eine Besichtigung des dortigen Stadtguts anschloss. Erst kürzlich widmete sich ein Bildungstag der Malerei von Edvard Munch, der das berühmte Gemälde „Der Schrei“ schuf. Im weiteren Jahresverlauf sind neben einer Ersthelfer-Schulung, einer Stadtführung rund um den Kiez am Ostbahnhof, Besuche im Europäischen Informationszentrum und im Bundestag geplant. Die Bildungstage bieten in der Regel nicht nur die Möglichkeit, Neues kennenzulernen, sozusagen den eigenen „Horizont“ zu erweitern. Auch dem Austausch zwischen den Freiwilligen aus verschiedenen Einsatzstellen, aus allen Ecken Berlins und Brandenburgs wird genügend Raum geboten. Das macht sich besonders gut beim Plausch unterwegs oder bei Kaffee und Kuchen nach dem „Bildungsgenuss“.

Ein Bildungsausflug der besonderen Art führte eine Gruppe von Freiwilligen im Frühjahr zur Jüdischen Gemeinde der Stadt Potsdam. Nicht weit vom Hauptbahnhof hat diese etwa 400 Mitglieder zählende orthodoxe Gemeinde ihr Domizil in einer ehemaligen Feuerwache, schon sehr provisorisch, dennoch lebendig und gastfreundlich. Die Mitglieder stammen überwiegend aus zugewanderten Familien aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Vorstandsvorsitzende Herr Tkach begrüßte die Freiwilligen im größten Raum der Einrichtung, der für kulturelle Veranstaltungen der Gemeinde, vor allem aber als Gebetsraum dient. Herr Tkach erzählte anschaulich aus dem Leben seiner Gemeinde, berichtete auch von Identitätsproblemen seiner Mitglieder, die früher zumeist in ihrer russischen Heimat das Judentum nicht leben konnten. Erst mit der Übersiedlung nach Deutschland lernten sie, was es heißt, jüdisch zu sein. Die Gemeinde bietet Raum, den eigenen Wurzeln nachzuforschen, jüdische Rituale und Bräuche kennenzulernen, sich in die neue Gesellschaft zu integrieren. Sozial- und Kulturangebote, wie der Jugendclub, eine Bibliothek mit deutsch-, russischsprachigen und hebräischen Büchern, deutschlandweite Treffen von Jugendlichen und Studenten, Ferienlager im Ausland, auch in Israel, gemeinsame Ausflüge, Konzerte mit russischen und deutschen Künstlern sowie Lesungen bilden nur einen Bruchteil des vielseitigen Gemeindelebens. Der Beratung und Betreuung, insbesondere für die älteren jüdischen MitbürgerInnen, darunter Überlebende des Holocaust, wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Jeden Monat bringt die Gemeinde die Zeitung „Alef“ in zwei Sprachen heraus.

Die Jüdische Gemeinde der Stadt Potsdam kooperiert in Sachen Bundesfreiwilligendienst mit dem Kulturring. Drei engagierte Damen betreuen Kulturveranstaltungen der Gemeinde und die literarisch-künstlerische, zweisprachige Internetzeitschrift, die bereits mit neun Ausgaben im Netz vertreten ist (www.lik-potsdam.de).

Archiv