Alles verloren,

Ingo Knechtel

nur zum Glück nicht das Leben. So erging es vielen der Flüchtlinge, die in diesen Tagen verstärkt in unser Land kommen. Andere entscheiden sich, ihre angestammte Heimat zu verlassen, sie wollen woanders von vorn anfangen, ihr Glück in der Fremde suchen oder wollen dorthin, wo sie ihr Glück schon gefunden haben. Auch sie lassen ihr bisheriges Leben oft komplett hinter sich. Doch haben sie wirklich alles verloren? „Wenn die Auswanderer alles verlieren, die Liebe zu ihrem Vaterlande, selbst den geläufigen Ausdruck ihrer Muttersprache - die Melodien der Heimat leben unter ihnen länger als alles andere.“ Das sagte im 19. Jahrhundert der bekannte deutsche Schriftsteller Gustav Freytag. Gerade diese Wirkung von Musik, von Liedern beobachten wir auch heute immer wieder. Vielleicht, weil die Musik eine Weltsprache ist, die man nicht übersetzen kann und braucht. Gerade hier in Berlin spürt man die Musik der Welt in jedem Kiez. Deshalb ist es auch so faszinierend, an einem Tag wie dem 21. Juni, dem Sommeranfang, durch die Straßen unserer Stadt zu ziehen, die Klänge der Welt aufzusaugen, die dieses unbeschreiblich großartige Fest, diese Fête de la Musique, uns darbietet. Aber natürlich ist der Sinn dieses Festivals mehr als nur eine Darbietung, es ist ein Aufruf, mit seiner eigenen Musik teilzunehmen an diesem Spektakel. Auf den Straßen der Stadt ist alles ganz einfach an diesem Tag, an jeder Ecke darf musiziert werden. Es geht einmal nicht ums Geld, es geht nicht um Perfektion - es geht um die Freude an der Musik, es geht auch darum, mit ihrer Hilfe etwas mitzuteilen, was keine Sprache braucht. Viele Vereine und Veranstalter, darunter der Kulturring, bieten Musikern diese Möglichkeiten auch auf Bühnen. Letztlich konnte sogar die stets geldbesessene GEMA irgendwie zufrieden gestellt werden, und die Fête Company hat es wieder geschafft, das Anliegen dieses Tages ein weiteres Jahr zu verbreiten. Noch ist eben nicht alles verloren. Und es hilft uns allen, an einem Tag wie diesem Freude und Hoffnung in einer manchmal gar nicht freudvollen Welt auf den Straßen und Bühnen der Stadt in uns aufzunehmen und weiterzugeben.

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