Ein öffentlicher Bücherschrank

Politiker sind auch dazu da, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Die Kultur ist dabei ein ganz besonders wichtiges Gut. Viel zu oft hört man gerade von Kürzungen in diesem Bereich. Nun hat, auf Initiative der SPD-Fraktion, die Bezirksverordnetenversammlung von Tempelhof-Schöneberg folgenden Antrag beschlossen:

„Die Bezirksverordnetenversammlung ersucht das Bezirksamt, in Zusammenarbeit mit einem freien Träger bzw. einer sozialen Einrichtung an einem geeigneten Platz im Bezirk Tempelhof-Schöneberg einen öffentlichen Bücherschrank bereitzustellen, um den Einwohnerinnen und Einwohnern das unkomplizierte Tauschen von Büchern zu ermöglichen.“

Bis zum 31. März soll das Bezirksamt der BVV Bericht erstatten. Als öffentliche Bücherschränke dienen u.a. ausgediente Telefonzellen. In Berlin gibt es derzeit sechs öffentliche Bücherschränke, in der Sredzkistraße 48 in Prenzlauer Berg, in der Gustav-Adolf-Straße 66 in Pankow, der Falkenseer Chaussee 239 im gleichnamigen Ortsteil, am Teltower Damm 228 in Zehlendorf, in der Yorckstraße 4 im Eingangsbereich des Rathauses Kreuzberg, und – nur ein paar Autominuten entfernt – in der Schöneberger Frobenstraße 27 im Jugendzentrum Villa Schöneberg. Die Frobenstraße wiederum ist nur ein paar Minuten entfernt von der Schöneberger Crellestraße. Dort, im Haus Nr. 9, befindet sich einer von zehn MedienPoints des freien Trägers Kulturring in Berlin e.V.

Was sind die MedienPoints?

„Die Medienpoints des Kulturrings sind ein Eldorado für Lesehungrige mit schmalem Budget. Bücherspenden und Medien aller Art werden hier entgegengenommen, nach Genre sortiert und ohne Ausnahme kostenlos weitergereicht. Vordringliches Ziel des Projekts ist die Förderung der Lesekultur, weshalb jeder Interessierte willkommen ist, vorbeizuschauen und zu stöbern. Immer stehen freundliche Mitarbeiter für Fragen oder Anregungen zur Seite. Die einzelnen Medienpoints präsentieren sich mal wie eine kleine Bibliothek, mal wie ein kleiner Buchladen. Sie bieten jeweils regelmäßige oder unregelmäßige entgeltfreie Veranstaltungen, wie thematische Filmabende, Lesungen, Lesestunden mit Basteln für Kinder, Büchertische oder Vorleseservice in Krankenhäusern. Jedes Projekt hat seine eigenen charakteristischen Schwerpunkte, die sich aus dem Spendenfundus des bezirklichen Einzugsgebiets, aus der örtlichen Lage und natürlich auch aus den verschiedenen Teams heraus ergeben. Ein Abhol- und Bringservice organisiert mühelos auch umfangreichen Spendentransfer. Alle Medienpoints sind Projekte des Kulturring in Berlin e.V. und werden von den jeweiligen JobCentern der Bezirke unterstützt.“

Auch die Bezirksprominenz gibt sich im MedienPoint geradezu die Klinke in die Hand, ob BVV-Vorsteherin Petra Dittmeyer, Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler oder Jugendstadtrat Oliver Schworck, alle waren schon mehrfach in der Werderstraße in Tempelhof. Ein Netzwerk aus Nachbarn und Freunden unterstützt den Medien-Point mit Geld- und Sachspenden, wie zum Beispiel Lothar Nest von der gleichnamigen Sportschule, Wolfgang Spranger vom Verein Lichtenrader Volkspark, Thomas Jaeschke von Walter Confiserie, oder Ed Koch vom Tempelhofer Forum. Auch Juppy von der um die Ecke gelegenen ufaFabrik ist häufig Gast im MedienPoint wie auch RBB-Mann Daniel Gäsche.

Fassen wir also zusammen: es gibt in Tempelhof-Schöneberg zwei Medien-Points und zwei Bücherschränke sowie unweit einen weiteren in Kreuzberg. Das alles weiß die SPD-Fraktion nicht? Und die restliche BVV auch nicht? Was soll dieser völlig unsinnige Antrag? Anstatt Bestehendes zu unterstützen und zu fördern, will man sich – aus welchem Grunde auch immer – ein Denkmal mit einer neuen Einrichtung setzen. Ein freier Träger oder eine soziale Einrichtung soll mit dem Vorhaben betraut werden. Welche Kosten entstehen dadurch? Ist es nicht sinnvoller, das dafür vorgesehene Geld in die bestehenden Einrichtungen zu geben und diesen damit ein noch besseres Angebot zu ermöglichen? Die vorhandenen Bücherstuben machen nichts anderes als das, was jetzt zusätzlich geplant werden soll. Und es sind freie Träger, die sich darum kümmern.

Henning Hamann von MedienPoint Tempelhof ist über den SPD-Antrag regelrecht empört. „Wofür geben wir uns eigentlich so viel Mühe, wenn unsere Arbeit derartig ignoriert und konterkariert wird?“ Das Argument, dass ein öffentlicher Bücherschrank rund um die Uhr geöffnet wäre, ist lächerlich. Wem fällt an einem regnerischen Sonntagnachmittag ein, sich aus einer ausgedienten Telefonzelle ein Buch zu holen? Das kann man in einem gemütlichen MedienPoint auch freitags bis 18 Uhr erledigen. Dazu noch mit fachkundiger Beratung der Mitarbeiter. Der Antrag ist überflüssig. Die Bezirksverordneten sollten sich künftig vorher informieren, bevor sie sich mit Überflüssigem beschäftigen.

Eines sollte aber geprüft werden, nämlich ob man mit den offenbar vorhandenen Mitteln einen Fonds für Veranstaltungen und besondere Projekte der bestehenden Einrichtungen ins Leben rufen könnte.

(aus paperpress, 14.1.15)

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