Ein Gedanke durch drei Köpfe

Ingeborg Dittmann

Der Dichter Ulrich Grasnick erinnert sich an seine Begegnung mit Marc Chagall

Den weltberühmten Maler und Dichter Marc Chagall in Paris zu besuchen, noch dazu mit einer persönlichen Einladung – wem gelang das schon zu DDR-Zeiten?! Ulrich Grasnick – natürlich. Dem seit vielen Jahren in Mahlsdorf Süd lebenden Lyriker, Übersetzer, Erzähler, Buchautor. Der 76-Jährige erzählte am 8. Dezember letzten Jahres im Kulturforum anlässlich der dort gerade laufenden Chagall-Ausstellung einem sehr interessierten, wenn auch kleinem Publikum auf humorvolle Weise über seine persönliche Begegnung mit Marc Chagall im Jahr 1977. Fast erübrigte sich der Blick ins seitenlange Manuskript. Grasnick hat alles im Kopf.

Angefangen hatte alles mit irgendeinem Päckchen, das er einst bekam. Der Boden war mit einem Kalender stabilisiert worden – ein Kalender mit Bildern von Chagall, wie sich herausstellte. „Ich kannte den Künstler damals gar nicht“, erzählt er, doch die Kalenderbilder hätten ihn derart fasziniert und inspiriert, dass er begann, Gedichte zu den Bildern zu schreiben. Später entstanden zwei illustrierte und von Chagall signierte Bücher: „Liebespaar über der Stadt“ und „Hungrig von Träumen“. Sein Bild über Chagall vervollständigte sich nach dem Besuch der legendären Chagall-Ausstellung 1976 im Alten Museum. Er wollte den Künstler unbedingt persönlich kennen lernen, schrieb ihm. Und tatsächlich erhielt er eine Einladung, ihn in Paris zu besuchen. Der Schriftstellerverband lehnte damals ab, aber irgendwie gelang es ihm doch, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er finanzierte seinen Paris-Aufenthalt, indem er auf Pariser Hinterhöfen zur Gitarre sang. Chagall habe ihn damals scherzhaft mit den Worten „Wie geht’s, Kommunist“ begrüßt. Schließlich kam Grasnick aus dem Osten, das hatte schon etwas Exotisches. Dass der Maler auch ein großer Dichter war, ist vielen nicht bekannt. Grasnick übersetzte alle seine Werke. Und besuchte das Geburtshaus von Chagall in Witebsk, das, halb verfallen, zum 110. Geburtstag des Künstlers 2012 endlich restauriert wurde.Noch einer hat sich in Unkosten gestürzt, diesmal um Drucke und Originalgrafiken von Chagall zu erwerben – Pfarrer i.R. Hans-Dieter Winkler, Leihgeber der Exponate der Ausstellung „Bilder für die Bibel“ im Kulturforum Hellersdorf. Mit 5000 Mark habe er einst sein Konto überzogen, um einige Arbeiten zu erwerben, erzählt er mir bei der Veranstaltung am 8. Dezember.

Mitgestaltet wurde die vom Kulturring organisierte Begegnung auch von der Malerin Antje Püpke, die zu den Erzählungen von Ulrich Grasnick vor Ort malte und zeichnete. Sie sagte uns: „Es war spannend für mich, in dieser Art zu arbeiten. Ulrich Grasnick hat ja zu den Bildern geschrieben. Und aus den Texten sind nun wieder Bilder geworden. Ein Gedanke hat sich auf den Weg durch drei Köpfe gemacht. Es ist schon erstaunlich, was dabei so rauskommt. Im Prinzip ist das eine ziemlich einzigartige Idee – Live-Illustration zu Texten, macht das sonst noch jemand?“

(aus „jot w.d.“, der Bürgerzeitung aus Marzahn-Hellersdorf, Heft 1/15)

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