Atelierszenen

Stefan Friedemann

Eine Ausstellung der besonderen Art ist derzeit im Café des Stadthausmuseums Lichtenberg, Türrschmidtstraße 24, zu sehen. Dort stellen Künstlerinnen und Künstler aus, die am wöchentlichen Aktzeichnen im Lichtenberger Studio Bildende Kunst des Kulturrings teilnehmen.

Die vorgestellten Arbeiten zeigen, wie vielfältig die Möglichkeiten der gestalterischen Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur immer noch und immer wieder sein können. Besonders die Zeichnung ist als offenste, ursprünglichste Form des bildhaften Suchens auch die unmittelbarste Begegnung zwischen Motiv und Künstler, wie auch zwischen Künstler und Betrachter. So geht es mir immer, wenn ich Zeichnungen von anderen Künstlern aus anderen Zeiten betrachte: Die zeitliche und räumliche Distanz scheinen in einem Maße aufgehoben, wie es bei größeren, repräsentativer wirkenden Werken kaum der Fall ist. Vielleicht liegt es auch an der Intimität der Dimension und der Schmucklosigkeit des Mittels, dass dieses Betrachten einer Zeichnung in die Nähe des Brief-Lesens und dessen Vertraulichkeit rückt. Es ist aber auch das Verbleiben einer direkten Begegnung zwischen Künstler und Motiv in der gewonnenen Linie, das nachschwingt und sich als lebendige Äußerung mitteilt. Spuren des Prozessualen lassen Suchen und Verändern, Wegspuren transparent bleiben. Diese elementar menschliche Dimension schöpferischen Sich-Aussetzens enthebt das derart kalkülfreie Erleben den tendenziösen Zwängen marktorientierter Erwartungshaltungen.

Auch die hier zu sehende Malerei und Grafik folgt dieser nur sich selbst verpflichteten Suche nach einer wesensmäßigen Entsprechung für das Gegenüber. Unspektakuläre Tonalität atmosphärischer Halbtöne, eine der großen Form zugewandte und dennoch differenziert schwingende Klanglichkeit in der Malerei von Tatjana Burghenn gibt die Motivverbindlichkeit nicht preis und findet damit zu lyrisch nuancierter Abstraktion. Auch die szenischen Atelierschilderungen von Anne Lepinski oder Maja Feustel finden mit ihren reichen Tonwerten zu subtiler Balance zwischen Figuration und Abstraktion. In impulsiver Niederschrift zwischen skizzenhafter Dynamik und malerischem Verweilen verbinden sich formale Spannungen mit erzählerischen Momenten. Dies geschieht mit einer Selbstverständlichkeit, wie es zumeist nur dem Arbeiten vor dem Motiv zu eigen ist. Aber auch die komponierte Szene zieht ihre Glaubwürdigkeit aus der genauen Beobachtung und damit verbundener Konzentration durch Vereinfachung. Hier verbindet sich Unmittelbares mit Allgemeinem, die szenische Begegnung wird zur verfremdend überhöhten Konstellation wie bei Heidrun Sommer oder Stefan Friedemann. Das Alltägliche wird rätselhaft durch Verlagerung ins Bühnenartige. Zeitlose Klassizität vermittelt sich in den Pastellzeichnungen von Sebastian Hassbecker. In seinen Blättern schwingt das Ertasten feiner, vom Licht getränkter Valeurs nach. Dabei bewegt er sich im spannungsvollen Miteinander von Linie und Farbfleck. Birgit Horota stellt sich sowohl der Individualität des Modells als auch seiner bildhauerischen Typisierung. Mit silhouettenhaft-malerischer Plastizität und architektonischer Gliederung der Massen findet sie in ihren Akten eine ganz eigene Synthese dieser beiden, sich mitunter konfliktreich begegnenden Wahrnehmungsebenen. Deniza Spanu entwickelt die Architektur ihrer kraftvollen Bildgefüge aus dem Wechsel von Licht und Schatten, der Formen teilt und sie zusammenführt. Dabei setzt sie bewusst Gewichte und Richtungen zueinander ins Verhältnis, das Licht hilft beim Klären der Figur-Raum-Beziehung, ohne dass diese sich einer impressionistischen Anlehnung bedient. Auch das psychologisch Porträthafte in der Verbindung von Gestik und Mimik einer Ganzfigur wird bei ihr bereits in der Studie zum eigenen Bildthema. Ähnlich entwickelt Vivien Lätizia Kunde mit fast veristischer Feinlinigkeit einen Porträtakt, der das Charaktervolle in der Korrespondenz von Physis und Psyche aufzuzeigen sucht. Farbstiftnuancen von Perlmutabstufungen in den Hauttönen unterstützen die elegant unterkühlte Wiedergabe einer solch einfühlenden künstlerischen Annäherung.Dass das intensive Erspüren des Wesensmäßigen immer wieder ein Zurückgreifen auf elementare Mittel wachruft, zeigen Zeichnungen von Brigitte Lingertat und Petra Schneider.

... Bei Petra Schneider bleibt die Linie seismographisch fragil. In dieser sparsam prosaischen Auffassung, quasi im Purismus der Mittel, gewinnen die Figuren selbst einen Ausdruck von Verletzlichkeit. Auch Brigitte Lingertats Zeichnen ist ein beständiges Abtragen vermeintlicher Gewissheit und das Freilegen daraus hervorgehender Nachbilder. Wenn nun das Nachbild der Gewissheit die Frage ist, lebt im Innehalten der Suche die - erst durch den Betrachter aufzulösende - Chiffre. Dieses Innehalten vor dem Motiv im Erleben eines glückhaften Fragments gibt dem Blatt dann die Glaubwürdigkeit.

Catrin Böhm erfasst in ständigem Um- und Überschreiben der Formrhythmen, im Überlagern nervös pulsierender Linienbündel allmählich den Fluss des Figurzusammenhangs. Diese Prozessverlängerung führt zu einem Miteinander von Volumen und Linie, das sich dann auf wiederum ganz eigene Weise in etwas Landschaftliches wie auch Porträtaffines hineinschreibt. Ganz im Farberlebnis gehen die Aquarelle von Renate Hübner auf. Zart transparentes Licht verbindet sich musikalisch mit kontrastreicheren Lokalfarben zu einer lebhaften koloristischen Orchestrierung von erfrischender Lebendigkeit. Kerstin Lepinski gibt ihren Atelierskizzen etwas unbeschwert Milieuhaftes mit feinem Humor. Dabei hat sie sich etwas von unvoreingenommener Ursprünglichkeit bewahrt, das sich als stille Alltagspoesie vermittelt.

In vielen Arbeiten der Ausstellung sehen wir szenische Situationen, meist Begegnungen von Maler und Modell, Modellpausen, Gespräche beim Wein. Sie geben die gelöste, offene, kreativ-zwanglose oder auch die ganz auf den konzentrierten Augenblick gelenkte Atmosphäre der gemeinsamen Zeichenabende wider. Darin liegt auch der kostbare, soziale Aspekt, der sich hier widerspiegelt, ein schöpferisches Tun jenseits medialer Vereinnahmung.

Die Ausstellung ist noch bis zum 18 Januar 2015 zu sehen - Stadthausmuseum Lichtenberg, Türrschmidtstraße 24.

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