Baume Creatives: Jörg Landgraf

Thomas Sefzig

Es ist immer wieder interessant, wie so manche Kreative aus einem ganz anderen Berufsfeld heraus zu ihrer Kunst kommen, welche Stilmittel und Werkzeuge gewählt werden. Wie kommt beispielsweise ein Geschichtslehrer zum Holzschnitt?

Studiert hat der gebürtige Chemnitzer Jörg Landgraf in Dresden, auf Lehramt für Politik und Geschichte. Mit Ende 20 fand er zur Kunst als Ausdrucksmittel, belegte daher sein drittes Fach.

Aktzeichnen war natürlich die richtige Basis, es folgten zwei Semester Druckgrafik, wobei er hier zum Holzschnitt fand: Der Expressionismus hatte es ihm angetan, und in Dresden, Heimat der „Brücke“, war er natürlich gleich an der richtigen Adresse. Er experimentierte mit Linoleum, kam aber wieder davon ab. Es ging etwas zu leicht, das Material war zu leicht formbar. Holz hat Fasern, eine Maserung, ein Eigenleben. Kein Brett ist wie das andere, es reagiert unter Beitel und Messer immer ein wenig unvorhersehbar. Man muss sehr achtsam damit umgehen, wobei man diese intensive Auseinandersetzung mit Thema und Material durchaus im Ergebnis sieht. Der nächste Schritt für Jörg war ein Referendariat, woraus eine Vollzeitstelle werden sollte. Das klappte aber nicht. Statt dessen wurde er zum Willkommenslehrer für Geflüchtete ernannt, was er als Übergang gerne annahm.

Es war eine recht harte Erfahrung, da gerade die Kleinsten, die er teils mit Händen und Füßen unterrichten musste, mitunter traumatisiert waren. Erschwert wurde seine Arbeit auch dadurch, dass es an deutschen Schulen nur teilweise Konzepte gibt, nach denen man sich richten kann. Man fremdelt natürlich, soll dabei sprachliche und kulturelle Barrieren überwinden, muss das Klassenniveau ebenso im Auge haben wie die individuellen Bedürfnisse und Begabungen. Während er sich nach anderen Möglichkeiten umsah, gab ihm eine Freundin den Anstoß, sich doch mit Hilfsorganisationen zu befassen, zumal dort auch Leute gebraucht würden. Borderfree Association suchte tatsächlich Helfer, und er sagte zu, für eine Woche als „Volontourist“. Das Ticket nach Griechenland bezahlte er selbst, und so kam er mitten im Winter im „Camp Petra“ an: Am Fuße des Olymp, mit 1.200 vor dem IS geflüchteten Jesiden, rund zur Hälfte Kinder.

Sein Job war unklar, aber immerhin waren Schulen vorhanden, hieß es – es sollten dann Holzverschläge sein, mit Bierbänken darin. Seine Aufgaben waren auch recht überraschend, bis hin zum Zahnarzthelfer. Er verteilte Sachspenden, wobei ihn die teils heftigen, emotionalen Reaktionen der Empfänger sehr stark berührten. Generell war die Atmosphäre sehr bedrückend, einengend, von Langeweile geprägt. Jörg bastelte sich einen Plan zusammen, aus Musik, Malen, Seilspringen. Auch Englisch sollte er geben, wobei er darauf kam, die Begriffe zu malen und zu zeichnen, um eine Brücke über drei Sprachen zu schaffen. Er übte mit den Kleinen Zähneputzen, zumal die Notwendigkeit immens war, und schloss das Händewaschen gleich mit an.

Er skizzierte die Verhältnisse, wobei er, anders als manche Kollegen, kaum Fotos machte. Fotos sind zu persönlich, das verbot sich ihm einfach. Und Fotos zielen auch zu sehr auf Einzelschicksale ab. Ihm ging es mehr um den gesamten Überblick, die Sachverhalte und Zustände im Ganzen. Es wurde eine äußerst anstrengende Woche, erschütternd in vielerlei Hinsicht, aber auch von bemerkenswerten Momenten geprägt, wenn er bei den Kindern trotz der haarsträubenden Umstände ein hohes Maß an Begeisterung und Lernbereitschaft feststellen konnte.

An seinem letzten Tag gab es eine Mahndemonstration der Flüchtlinge, anläßlich des Jahrestages des Überfalls und anschließenden Völkermordes an den Jesiden durch den IS. Man stand beisammen, erzählte die eigene Geschichte, und es wurde sehr bald klar, dass jeder einen geliebten Menschen verloren hatte, auf meist bestialische Weise. Die Nachwirkungen der Verschleppungen, Vergewaltigungen, all der Greueltaten des IS, die seit Jahren durch die Medien geistern und uns, fernab davon, zwar schockieren und erschüttern, aber nicht wirklich nachhaltig verängstigen können, traten hier offen zu Tage. Die Emotionen kochten hoch, überschlugen sich, es gab reihenweise Zusammenbrüche, heftigste Panikattacken bis zur Bewusstlosigkeit. Starke, erwachsene Männer, die sich zitternd und verschämt hinter Baracken zurückzogen, weil sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnten.

Jörg konnte danach zwei Tage lang nicht schlafen, zu tief erschüttert war er von dem Erlebten.

Ein wenig frustrierend war für ihn der Umstand, dass völlig unklar war, ob seine Arbeit überhaupt fortgeführt würde oder sich sein Nachfolger auch erst wieder ein Konzept ausdenken müsste, ohne auf seinem aufbauen zu können. Es gab keine Dokumentation oder Organisation, die sich damit befasst hätte. Jörg reiste noch ein paar Tage durch Griechenland, brauchte etwas Erholung. Es war schwer, sich von all dem Elend und Leid zu lösen, von den vereisten und eingeschneiten Zelten, in denen die Geflüchteten bereits monatelang campieren mussten, alles ohne brauchbare Winterausrüstung, wie sie jeder Trekking-Tourist besitzt – während wenige Kilometer weiter einige der schönsten Attraktionen Griechenlands zu finden sind, mit Touristen, deren Kameras teurer sind als eine Woche Ernährung für das ganze Camp.

Zurück in Deutschland, verarbeitete er seine Eindrücke, indem er sie in Holz schnitt. Es entstanden recht unterschiedliche Werke, teils durch die Strapazen der Portraitierten geprägt, teils aber auch durch deren Lebenswillen, der einen zutiefst beeindruckt. Jörg zeigte seine Werke bislang in zwei Ausstellungen, in Dresden und Berlin. Vom 7.2. bis zum 29.3.2019 dürfen wir sie nun in der Kulturbundgalerie in der Ernststraße präsentieren.

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